Der Verein für Fortschrittliche Verkehrstechnik und seine Zeitschrift Das Neue Fahrzeug by Wolfgang Both

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(The Association for Advanced Transportation Technology and its newsletter “The New Vehicle”.) Dr. Wolfgang Both, Berlin

The Association for Advanced Transportation Technology was one of the many associations and organizations that emerged after 1919 and wanted to contribute to the political, social, economic or cultural development of the new German republic.The association fixed in its articles that the members will focus on the new transport techniologies. Founder and Head was the engineneer and inventor Dr. Otto Steinitz (1886 - 1964). With him were party members, as the Member of Parliament Georg Davidson, and other engaged men from Berlin. This association is of interest for the beginnings of rocketry because the board and some members of the Verein für Raumschiffahrt (VfR) changed for the EVFV in the end of 1933 (see VfR-history by Frank Winter).


Der Verein für Fortschrittliche Verkehrstechnik war einer der vielen Verbände und Organisationen, die ab 1919 entstanden und ihren Beitrag zur politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Entwicklung der neuen Republik leisten wollten. Der Verein hatte sich satzungsgemäß die Entwicklung des Verkehrswesens in Deutschland zum Gegenstand genommen. Ihm stand der junge Ingenieur Dr. Otto Steinitz vor, Mitglieder aus Parteien und dem gesellschaftlichen Lebens Berlin gehörten 1920 zu den Gründern. Unter ihnen der SPD-Abgeordnete Georg Davidsohn (1872 – 1942).


Contents

Der Vereinsgründer Otto Steinitz

Dr. Otto Steinitz
Dr. Otto Steinitz
Otto Steinitz wurde 1886 im oberschlesischen Beuthen geboren, ging in Breslau zur Schule und studierte Maschinenbau an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. Im Sommer 1911 schloss er sein Studium erfolgreich mit dem Diplom ab. Im Jahr 1912 wechselt er aus Dessau nach Berlin-Adlershof und wurde erster Assistent von Prof. Friedrich Bendemann (1874 – 1923), der dort im Auftrag der Reichsregierung eine Versuchsstelle für Luftfahrt aufbaute (heute DLR). Ein Jahr später wechselte er in die Propellerfabrik Lorenzen, die Propeller speziell für Zeppeline herstellte. Daneben baute er er ein eigenes Ingenieurbüro auf. Als im Verlauf des Ersten Weltkrieges die Zeppeline im Luftkrieg unterlagen, die Aufträge für Lorenzen wegbrachen, erhielt Steinitz zum Januar 1918 einen Gestellungsbefehl. Bis zur Demobilisierung Ende 1918 arbeitete er in der Waffenfabrik Spandau. Hierbei entwickelte er seine ersten Patente, u.a. einen Drehmomentenschlüssel.

Unmittelbar nach Kriegsende versuchte er, Flugzeugmotoren und Propeller zum Antrieb von Schienenfahrzeugen einzusetzen. Er überzeugte die Reichsbahnführung und konnte am 11. Mai 1919 einen medienwirksamen Probelauf zwischen Berlin-Grunewald und Beelitz durchführen. Steinitz meldete dazu ein Patent an. Letztlich war die Bahnführung aber nicht interessiert (erst ca. 15 Jahre später machte sich ein Schienenzeppelin auf die Strecke Berlin-Hamburg). Um seine Ideen weiter zu propagieren, gründete er mit Freunden und Kollegen am 9. April 1920 den Verein für Fortschrittliche Verkehrstechnik (EVFV).

Der Verein für Fortschrittliche Verkehrstechnik

Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben Steinitz und Davidsohn sein Jugendfreund Wolfgang Rawak, sein Mechaniker Alexander Pfeiffer und der Rechtsanwalt Dr. Julius Heppner. In der Satzung wurden die Ziele sehr allgemein formuliert: der Zweck sei es, „die fortschrittliche Weiterentwicklung der Verkehrstechnik zu fördern.“ Als Vereinssitz wurde Berlin festgelegt, wirtschaftliche Tätigkeit wurde ausgeschlossen. Der Mitgliedsbeitrag sollte bei 50 RM pro Jahr liegen, eine zweijährige Wahlperiode für den Vorstand war vorgesehen. Das Amtsgericht Berlin-Mitte unterstellte bei den vorgesehenen Beiträgen offenbar ein wachsendes Vereinsvermögen und forderte daher in den Jahren 1925 und 1927 erhebliche Gebühren vom Verein. Nur mit rechtlichem Beistand und unter Offenlegung des Vereinsvermögens konnte eine Liquidierung abgewendet werden. Für 1924 wies man Zuflüsse von 200 RM nach. Daher wurde 1926 die Satzung dahingehend geändert, dass nur noch ein Jahresbeitrag von 12 RM erhoben wurde. Dies wurde dem Amtsgericht mit dem Kurzprotokoll der ordentlichen Mitgliederversammlung vom 4. März 1926 mitgeteilt. Die Versammlung bestätigte wiederum Steinitz als Vorstand und Davidsohn als Schriftführer. Die Treffen dieser Jahre fanden jeweils im Vereinszimmer des Nollendorf-Casinos statt.

paper of foundation 1920
paper of foundation 1920

Neben diesen formalen Fragen widmete sich der Verein inhaltlich verschiedenen Problemen der Modernisierung des wachsenden Verkehrs. Gelegentlich tauchten auch andere Themen auf. Mit dem Aufkommen des Rundfunks hatte man Ende 1923 Ing. Schüler zu Gast, der über das entstehende Rundfunkwesen berichtete. Letztlich entwickelte sich daraus eine Publikation, zu der Steinitz von Davidsohn angeregt wurde. So erschien 1924 ein schmales Büchlein für den Radioamateur. Dem folgten dann weitere Arbeiten für den Motormechaniker, den Motorradmechaniker und Kleinwagen. Aber auch diese Publikationen trugen kaum zum Wachstum des Vereins bei. Wie Otto Steinitz in seinen Erinnerungen schrieb, hatte man zu Hochzeiten 140 Mitglieder. Nicht alle zahlten, so dass Steinitz aus seinem Ingenieur- und Patentbüro die Kosten des Vereins trug. War die Geschäftsstelle anfangs noch bei Georg Davidsohn in der Kaiserstr. 10. gemeldet, so wechselte dies dann in die Bergmannstr. 51, wo Steinitz Wohnung, Werkstatt und Büro hatte. Steinitz nutze die Vorstandsfunktion zum Ausbau seiner beruflichen Kontakte. Als einer der ersten freiberuflichen Ingenieure war er auf Aufträge angewiesen. In den ersten Jahren gab man ein regelmäßiges Faltblatt heraus, das Steinitz bei einer Druckerei in seiner Straße anfertigen ließ. Dann nutze man für Beiträge die Zeitschrift „Das Fahrzeug“, die vom Bohl-Verlag in Eisenach herausgegeben wurde. Diese musste aber 1927 wegen finanzieller Probleme aufgeben.

Steinitz and Willy Ley at the rocket test field Berlin
Steinitz and Willy Ley at the rocket test field Berlin
Im Jahr 1929 kam Otto Steinitz mit Hermann Oberth und dann mit Willy Ley in Kontakt. Beide waren Mitglieder im Verein für Raumschiffahrt (gegr. 1927) und Oberth hatte von Fritz Lang den Auftrag zur wissenschaftlichen Begleitung seines Filmprojekts „Frau im Mond“ bekommen. Dabei fand sich auch Raum für Raketenexperimente, wobei Oberth erste patentfähige Erkenntnisse sammelte. Hierzu suchte er patentrechtlichen Beistand und fand ihn bei Dr. Otto Steinitz. Bald gingen Oberth und Ley im Hause Steinitz ein und aus. Steinitz seinerseits besuchte schon 1930 den Raketenflugplatz in Berlin-Tegel und erweiterte mit Vorträgen das Themenspektrum seines Vereins. So berichtete er u.a. 1931 beim Großberliner Vortragsbund über die Fortschritte der Raumfahrttechnik und Willy Ley referierte beim EVFV. Neben der patentrechtlichen Beratung bot der Verein seinen Mitgliedern eine umfangreiche Bibliothek zu verkehrstechnischen Fragen.

Anfang 1930 beging der EVFV sein zehnjähriges Bestehen. Das feierte man in einem Biergarten. Eine hektografierte Bierzeitung begleitete dies in humorvoller Weise und erinnerte an viele Begebenheiten der letzten Jahre.

Der neue Verein und seine Zeitschrift „Das Neue Fahrzeug“

Eine Wende für beide Vereine EVFV und VfR ergab sich Ende 1933: Der Streit im Verein für Raumschiffahrt zwischen Vorstand (v. Dickhuth-Harrach, Ley) und Geschäftsführer (Nebel) war eskaliert. Der Vorstand schloss Rudolf Nebel mit Schreiben vom 26. Oktober 1933 aus dem VfR aus, verließ dann aber den Verein und wechselte Ende 1933 zum EVFV. In einem vertraulichen Brief vom 6. Januar 1934 an alle Mitglieder erläuterten von Dickhuth-Harrach und Willy Ley ihren Schritt:

Der Grund dafür ist vor allem, dass das gegen Nebel angestrengte Verfahren wegen Mangels an ausreichenden Beweisen und mit Rücksicht darauf, dass N. Bisher unvorbestraft ist, niedergeschlagen wurde. Es bestand somit keine Möglichkeit mehr, im Rahmen des VfR irgendwelche erspriessliche Arbeit zu leisten, zumal durch den vollkommen missglückten Magdeburger Start die weiteren Arbeitsmöglichkeiten grösstenteils abgeschnitten waren. … Wir bitten sie daher unserem Schritt zu folgen und dabei mitzuhelfen, im EVFV das zu erreichen, was wir im VfR wegen der persönlichen Interessen des Herrn Nebel nicht erreichen konnten: eine Verbreiterung und Vertiefung des Raketengedankens und eine wissenschaftliche, ernsthafte Förderung der Raketentechnik ohne Sensationshascherei und ohne einseitige Bindungen.

Invitation January 1934
Invitation January 1934
Am 19. Januar 1934 lud der Vorstand des EVFV zu einer Mitgliederversammlung für 25. Januar, diesmal ins Vereinszimmer des Café Riedel (am heutigen Mehring-Platz) ein. Wie es in der Einladung hieß, „wird beabsichtigt, die Vereinstätigkeit durch Einbeziehung der Probleme der Raumschiffahrt und durch Eingliederung in die Front technisch-wissenschaftlicher Arbeit neu zu beleben.“ Neben einer Satzungsänderung war eine Neuwahl des Vorstandes vorgesehen. Obwohl nur vier Mitglieder und eine Protokollantin erschienen, erfolgten Satzungsänderung und Neuwahl. Die Raketensache wurde mit in den Vereinszweck integriert, ebenso die gewechselten VfR-Mitglieder, und der Mitgliedsbeitrag wurde auf 8 RM/Jahr gesenkt. In den Vorstand wurden Hanns-Wolf von Dickhuth-Harrach und Willy Ley neu gewählt, Otto Steinitz übernahm die Geschäftsführung des Vereins. Den Vorstand nannte man nun „Vereinsführer“. Beim Kassensturz konstatierte man einen Schuldenstand des Vereins von 220,75 RM gegenüber Otto Steinitz. Zum Schuldenabbau sollten die nun einkommenden Mitgliedsbeiträge genutzt werden. Zugleich entspann sich eine rege publizistische Tätigkeit. Bereits am 28. Februar 1934 erschien die erste Ausgabe der Vereinszeitschrift „Das Neue Fahrzeug“, anfangs hergestellt von der Buchdruckerei Brückner in der Brunnenstr. 70. Willy Ley betätigte sich als Herausgeber. Neben Vereinsnachrichten enthielt die achtseitige Ausgabe Fachbeiträge der Mitglieder und ausländischer Gastautoren, wie Vladimir Mandl, Philip Cleator oder Guido von Pirquet. Hatte man zu Beginn eine Auflage von 600 Stück, so sank die Stückzahl 1935 auf 300 pro Heftnummer. Die Emigration von Willy Ley in die USA Anfang 1935 führte zu keinem Einbruch der Edition, die Redaktion wurde erst von Günter Preß und dann von Hanns-Wolf von Dickhuth-Harrach übernommen. Dieser erneute Wechsel erfolgte Ende 1936 nach einem internen Streit. Als Preß anmerkte, dass der Verein ja einen nicht-arischen Geschäftsführer hätte, empfand der Vereinsführer dies als „diametral zu den Vereinsinteressen“ und entzog ihm die Funktion. Die Denunziation hatte aber eine offizielle Maßnahme des Regimes zur Folge: v. Dickhuth-Harrach wurde zum Verhör einbestellt, verteidigte aber mutig seinen Geschäftsführer und wendete ein Verfahren gegen den Verein damit ab. Letztlich wurde er nur ermahnt, bei nächster Gelegenheit den Vertrag auslaufen zu lassen. Dies erfolgte zwar zum 1. Mai 1938 mit offizieller Meldung an das Vereinsregister, wurde praktisch aber erst vollzogen, als Steinitz mit seiner Familie im März 1939 in die USA emigrierte. Insgesamt erschienen bis Mitte 1937 14 Ausgaben der Vereinszeitschrift, darunter einige Doppelnummern, mit mehr als 40 Fachbeiträgen von 17 Autoren. Am stärksten waren neben Otto Steinitz (auch unter seinem Pseudonym „Blanck“) Willy Ley und v. Dickhuth-Harrach vertreten. Guido von Pirquet verfasste eine ganze Artikelserie zum Raumfahrtproblem. Willy Ley berichtet Anfang 1935 noch unverfänglich über seine USA-Reise. Aber die folgenden Artikel 1936 über seine Raketenversuche auf dem Greenwood-See machten deutlich, dass er wohl nicht ins Dritte Reich zurückkehren würde. Das Weltraumthema nahm den größten Platz in der Berichterstattung ein, aber auch Automobilbau und Flugwesen spielten weiterhin eine Rolle.
head of the journal
head of the journal

Dabei blieb die Raketenentwicklung nicht auf theoretische Betrachtungen beschränkt. So versuchten sich Ley und Steinitz mit den Erfahrungen aus dem VfR selbst an der Konstruktion eines Triebwerks. Letztlich kam dies aber nicht zur praktischen Ausführung. Seinen Vortrag über die Temperatur im Weltraum auf der Mitgliederversammlung im Frühjahr 1936 konnte Steinitz auch in einer englischen Fachzeitschrift unterbringen. Auf der Mitgliederversammlung 1937 referierte v. Dickhuth-Harrach zu den Problemen des interplanetaren Verkehrs.

Auf der einen Seite rissen die Verbindungen ins Ausland ab, dafür entstanden neue Kontakte zur Gesellschaft für Weltraumforschung e.V, gegr. 1937 in Breslau. Mit Hans K. Kaiser von derGfWentstand eine Partnerschaft, die nach der erzwungenen Emigration von Otto Steinitz und seiner Familie dazu führte, dass Kaiser Ende 1939 die Geschäftsleitung des EVFV übernahm und in dessen Vorstand eintrat, v. Dickhuth-Harrach seinerseits die GfW-Ortsgruppe Berlin leitete. Man verabredete Ko-Mitgliedschaften. Von Dickhuth-Harrach wurde 1939 zum Ehrenmitglied der GfW ernannt. Beide Gesellschaften taten sich zusammen, so dass die Vereinsidee weiterlebte. Allerdings musste v. Dickhuth-Harrach gegenüber dem Amtsgericht Anfang 1940 erklären, dass mangels Mitgliedern die Vereinstätigkeit des EVFV bis Kriegsende ruhen werde. In den Akten findet sich dann der Vermerk, dass der Verein zum 13. März 1945 erloschen sei. Zu dieser Zeit war der 1942 reaktivierte Fliegermajor gerade vom aktiven Ausbildungsdienst als Fluglehrer aufgrund seines Alters aus der Luftwaffe entlassen worden und nach Berlin zurückgekehrt. Seine Wohnung war ausgebombt, die Post der noch arbeitenden Bürokratie erreiche ihn nicht mehr.

Quellen

  • Das Neue Fahrzeug – Mitteilungsblatt des E.V. Fortschrittliche Verkehrstechnik 1934 – 1937
  • Landesarchiv Berlin, Bestand B Rep. 042, Nr. 26452
  • Schienke, Horst: E.V. Fortschrittliche Verkehrstechnik, eine frühe Raumfahrtgesellschaft, unveröffentlicht, 1988
  • Steinitz, Otto: Toil is Living, unveröffentlicht, ca. 1960
  • Weltraum – Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Weltraumforschung e.V. Heft 3/ 4 vom Dez. 1939, S. 50 – 51