Hückel by Wolfgang Both
From The Space Library
Hugo Hückel – mehr als ein Mäzen der Raketenpioniere
- ein Portrait anhand von Briefen -
Hugo Hückel – more than a sponsor of the early rocketeers – a portrait based on letters
Hugo Hückel was born in 1899 in the Austrian Empire. He was son of a hat maker dynasty. After the service in the Austrian Army he started his studies an the University of Vienna. He finished as an engineer in 1923. Then he started a tour through his farther´s hat company. In 1926/27 he spent some time at hat makers in the USA (Stetson, Lachlau). When he returned to Tshechesovakia he continued going through several stations in the company. And he started with first test for a rocket engine. In 1928 he became ill (tuberculosis) and had to stay for years in sanatories. He came in contact with the German rocketeers an Rudolf Nebel and Johannes Winkler. Instead of making his own experiments he gave money and expertise to foster the rocket development. Mainly Winkler was supported. But when his rocket launch failed in Oct. 1932, Hückel stepped down from rocketry and became boss of one branch of the hat company.
In der Zeit der beginnenden Weltwirtschaftskrise nahmen die Probleme der Geldbeschaffung für die Raketenpioniere zu. Ende 1930 war das Haushaltsdefizit der jungen deutschen Republik auf eine Milliarde Reichsmark angewachsen, die Zahl der Arbeitslosen stieg auf 4,5 Millionen, die wechselnden Regierungen arbeiteten mit Notverordnungen. Anfragen der Forschergruppen bei Ministerien und der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft blieben erfolglos. So war man weiter auf Spenden der Vereinsmitglieder angewiesen. Obwohl das Thema Raumfahrt in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt durch die spektakulären Versuche von Opel und Valier mit Raketenautos, -schlitten und -flugzeugen sowie durch die Premiere des Fritz Lang-Films „Frau im Mond“, wachsende Aufmerksamkeit bekommen hatte, blieben finanzielle Zuwendungen für Forschung und Entwicklung aus.
Nur ein Mann tat sich hervor: der böhmische Hutfabrikant Hugo Hückel. Er unterstützte nicht nur Johannes Winkler bei seinen Entwicklungen zur ersten europäischen Flüssigkeitsrakete, auch Max Valier und der Verein für Raumschiffahrt (VfR) wurden von ihm bedacht. Dabei war er nicht nur ein uneigennütziger Förderer, er war auch ein begabter Ingenieur und Berater.
Kinder- und Jugendjahre
Hugo Augustin Theodor Hückel wurde am 9. August 1899 in Neutitschein geboren. Sein Vater Johann Hugo Ferdinand Hückel war einer der Erben der Hutfabrik Johann Hückel & Söhne, deren Stammwerk seit 1805 in Neutischein war. Sie hatten es bis zum kaiserlich-königlichen Hoflieferanten in Wien gebracht. Man verarbeitete Felle aus aller Welt, lieferte in alle Welt und hatte in Hochzeiten bis zu 4.000 Beschäftigte in drei Werken. Die Velourshüte der Firma waren berühmt und besonders in Osteuropa beliebt. So hieß die traditionelle Kopfbedeckung der Männer unter den osteuropäischen Juden nur „Hückel“. Noch heute sind diese Stücke unter Sammlern begehrt. Und noch heute bestellen Rabbis aus Israel diese Hüte bei der Nachfolgefirma. Hugo, sein Bruder Herbert (*1901) und seine Schwester Christine (*1903) wuchsen in begüterten und behüteten Verhältnissen auf. Die Familie besaß eine große Villa mit Bediensteten und zählte zu den Honoratioren der Stadt. Sein Vater saß im Gemeindevorstand von Neutitschein. Die Villa lag oberhalb der großen Fabrikanlage an der Hindenburgstraße. Die ersten Schuljahre erhielten die Kinder Privatunterricht zuhause. Hugo kam mit der 5. Klasse in die Realschule Neutitschein und beendete das Gymnasium vorzeitig im Frühjahr 1917. Eigentlich wollte ein Studium für Maschinenbau und Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Wien aufnehmen. Aber er musste unmittelbar seinem Marschbefehl folgen. So rückte der 17-jährige Abiturient in das Telegraphen-Regiment St. Pölten ein. Nach einjähriger Ausbildung sollte er nach Feltre in Südtirol ausrücken, erkrankte aber an einer Blinddarmentzündung. Da diese nicht rechtzeitig erkannt wurde, blieb er über sechs Monate im Lazarett. Dabei bildete sich auch noch ein Narbenbruch, der ihn trotz umgehender Operation letztlich frontuntauglich stellte. Gleichzeitig mit seiner Genesung endete aber auch der Erste Weltkrieg mit dem Zusammenbruch der Kaiserreiche in Deutschland und Österreich. Neutitschein lag nun in der jungen tschechischen Republik. Hugo Hückel konnte dann 1919 sein Studium der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Wien auf und schloss es am 7. Dezember 1923 erfolgreich mit der Diplomprüfung ab. Unmittelbar darauf trat er in den väterlichen Betrieb ein und durchlief alle Stationen in der Produktion und der Verwaltung, um sich auf eine zukünftige Tätigkeit als Geschäftsführer vorzubereiten. Als junger Ingenieur interessierte er sich für alle aktuellen Entwicklungen in der Technik. Dabei muss ihn auch irgendwie das Raumfahrtthema erreicht haben. Er beschaffte sich die neue Broschüre von Max Valier „Vorstoß in den Weltenraum“ (1924) und schrieb ihn Ende des Jahres an. Aber erst nach seiner Rückkehr aus den USA sollte sich ein intensiverer Kontakt zu den Raketenpionieren ergeben. Von August 1926 bis April 1927 betrieb Hückel bei Stetson, Crofut&Knopps sowie Max Lachlau vertiefende Studien zu Betriebsablauf, Technik und Gestaltung. Wieder zurück in Neutitschein verlobte er sich mit Edith Felkel (*1906) aus Troppau. Beide hatten sich bereits als Jugendliche in Troppau kennengelernt. Die junge Frau hatte nach dem Schulabschluss an der Kunstschule Wien eine gediegene Ausbildung als Malerin erhalten. Eigentlich wollten sie im Herbst 1927 heiraten, aber wegen einer ernsthaften Erkrankung wurde der Termin auf den 14. Januar 1928 verschoben. Die Genesung war aber nur scheinbar, es begann eine Odyssee durch Arztpraxen und Kurheime. Wurde zuerst Rheumatismus diagnostiziert, so stellte sich sein Leiden dann als Knochentuberkulose heraus.
Der Raketenpionier
Bereits 1927 hatte Hückel von der Bildung des Vereins für Raumschiffahrt in Breslau erfahren. In der Augustnummer der Vereinszeitschrift „Die Rakete“ ist schon ein Spendeneingang von 30 Reichsmark von ihm verzeichnet. Das Konzept der Weltraumfahrt faszinierte ihn, so dass er nicht nur dem Verein beitrat, sondern auch selbst erste Experimente aufnahm. Die väterliche Fabrik hielt Materialien und einen Maschinenpark bereit, die es ihm ermöglichten, ein eigenes Labor aufzubauen und Versuche durchzuführen. Er konstruierte einen einfachen Raketenmotor aus NTC3-Stahl der Fa. Krupp und setzte Sauerstoff und Benzin als Treibstoffe ein: Da ich vor meiner Erkrankung ebenfalls mit Versuchen begann, entschied ich mich für Kruppschen NTC 3 Stahl für Ofen und Düse. Es würde mich sehr interessieren, ob auch Sie dieselbe Wahl getroffen haben. … Sollten Sie wieder einmal einen größeren Schritt nach vorwärts zu verzeichnen haben, so würde es mich freuen, davon zu hören. Sie arbeiten doch mit flüssigen Sauerstoff einerseits und einer C-H Verbindung andererseits? (Brief vom 19.3.1930).2 Da er den Begriff „Ofen“ für Brennraum verwendete, ist davon auszugehen dass er Oberths Arbeiten studiert hatte. Später äußerte Hückel sich nochmal zum eingesetzten Stahl: Es genügt nicht, daß kein Brennstoff die Düse flüssig verläßt, es muß vielmehr die Forderung erhoben werden, daß kein Treibstoff den Brennraum flüssig verläßt. Auch ich bin der Ansicht, daß man bei Verwendung entsprechenden Materials (NCT3 od. NCT8) viel höher als 400° gehen kann. Es kommt bloß auf einen Versuch an und ich möchte Sie bitten einmal das Düsenstück des Motors aus NCT3 auszuführen und den Versuch zu wagen. (Brief vom 22.05.1931) Unter anderem kam Wasserstoffperoxid als Treibstoff bei ihm zum Einsatz. Bei Versuchen zur Erhöhung der Konzentration handelsüblicher Ware erfolgte einmal eine Explosion, bei hoher Konzentration neigt H2O2 zur Selbstzersetzung. Daß H2O2 nur 30% im Handel ist, ist mir bekannt, da wir es eine zeitlang im Großen in der Fabrikation verwendeten. Als ich vor zwei Jahren mit Vorversuchen begann (die ich dann krankheitshalber einstellen mußte) destillierten wir es im Vakuum bis auf etwa 70%. Einmal trat auch tatsächlich eine Explosion ein. Immerhin ließe sich H2O2 bis zu jener Konzentration verwenden, wo es noch genügend beständig ist. Auch H2O2 gibt außerdem beim Zerfall noch Wärme ab. (Brief vom 17.09.1930) Für den Einsatz von Methan hatte er eigens ein Reduzierventil entwickelt, dessen Konstruktion er Winkler zur Nachnutzung anbot: Als ich noch zu Hause war, hatte ich so einen Versuch in Vorbereitung, er sollte lediglich den Zweck haben, die vorher errechnete Ausströmgeschwindigkeit durch die Praxis zu überprüfen. Dabei war einmal die Aufgabe zu lösen, das gewünschte Mischverhältnis zu verwirklichen und konstant zu halten. Es wäre das so geschehen, daß für den Versuch je a Flaschen O2 + b Flaschen CH4 (ich hatte damals H2 in Aussicht genommen) parallel geschaltet werden. Die beiden Batterien wären sodann (durch Ablassen des Überschusses) auf gleichen Druck gebracht worden und sodann einem eigens konstruierten Reduzierventil zugeführt worden, das 2 Regulierräder hatte. Mit dem einen ist es möglich die eine Batterie zu öffnen während die andere gleichzeitig geschlossen wird. Diese Regulierung bezweckt den Druck der Batterie A stets gleich dem der Batterie B zu halten, so daß das Mischverhältnis stets das gewünschte und konstant ist. Das 2. Regulierventil bezweckt die fortschreitende Öffnung der Zuleitungen um den Druck vor dem Brennraum stets gleich hoch zu halten. … Wenn Sie grundsätzlich einverstanden wären den Versuch auszuführen, würde ich Ihnen die Konstruktionszeichnung senden (des Ventils) damit Sie beurteilen können, ob es sich eignet und zutreffenden Falls würde ich dann die Einsendung an Sie veranlassen. (Brief vom 09.05.31). In der Theorie sowie in der Praxis sind verschiedene Treibstoffe von Hückel ersten Tests unterworfen worden. Ziel war es, die möglichen Ausströmgeschwindigkeiten messtechnisch zu erfassen. Zu Ostern 1928 reiste er nach Breslau, um Johannes Winkler zu besuchen, der Vorsitzender des VfR war und sich an der dortigen Technischen Hochschule ein Labor eingerichtet hatte. Sicherlich tauschte man sich über die Erfahrungen bei den Triebwerksexperimenten aus, denn er schrieb an Winkler, dass er sich über seine Experimente demnächst weitergehend äußern werde: Ich empfing das Büchlein sowie Ihr freundliches Schreiben vom 16.d.M. und erlaube mir Ihnen hiermit für die mir darin in liebenswürdiger Weise erteilte Auskunft den herzlichsten Dank auszusprechen. Sobald ich in meinen Arbeiten einigermaßen vorgeschritten sein werde, werde ich mir erlauben darüber zu berichten. (Postkarte vom 19.04.1928) Diese wenigen Ausführungen in seinen Briefen belegen, dass Hückel sich 1927/28 ernsthaft mit eigenen Triebwerksversuchen und dem Test verschiedener Treibstoffe beschäftigt hatte. Im weiteren Briefwechsel mit Johannes Winkler wird deutlich, dass er über ein umfangreiches theoretisches Wissen in Physik und Chemie verfügte und dieses technisch anzuwenden wusste. Seine Erkrankung riss ihn aus der Versuchsserie.
Der Förderer
Dieses Defizit versuchte er als Förderer anderer Entwickler zu kompensieren, um die Raketenentwicklung voranzutreiben. Er bemerkte dazu im Brief vom 19.03.1930: Und das ist meine Ansicht: nur durch die stetige Entwicklung werden wir das letzte Ziel erreichen und nie durch die sprunghafte Schaffung von etwas gänzlich Neuem, wie es Oberth vorschwebte. Noch nie ist es in der Geschichte der Technik vorgekommen, daß etwas Großes, Neues vom ersten Hieb mit großer Vollkommenheit geschaffen worden, immer noch ging dem vollendeten Endprodukt eine jahre- und jahrzehntelange, nüchterne Vorarbeit voraus. In einem Brief an Johannes Winkler vom 17.09.1930 begründete er sein Engagement wie folgt: Der Grund warum ich mich entschlossen habe, den Bau und die Erschaffung der Flüssigkeitsraketen endlich wirksam zu fördern, ist eigentlich ein doppelter: 1. das ideale Interesse, das ich der Erfüllung und Verwirklichung dieser großen Idee entgegenbringe und 2. das technisch-wissenschaftliche Interesse, daß ich als technisch vorgebildeter Mensch allen großen Leistungen auf dem Gebiet der Technik u. d. Wissenschaft entgegenbringe. Dieser letztere Grund ist nun ausschlaggebend für meinen Wunsch, wenigstens geistig mit den von mir finanzierten Arbeiten mitgehen wenn schon nicht mitarbeiten zu können. Da ich von jeder wirklichen, ernsthaften Arbeit durch meinen Zustand unbedingt ausgeschaltet bin (das kann nur der verstehen, der meine Lage selber einmal erlebt hat), so ist mir wenigstens die geistige Teilnahme an der Arbeit anderer eine gewisse Befriedigung. Ende 1928 war bei Hugo Hückel Knochentuberkulose an einem Rückenwirbel sowie in einem Knie als wahres Leiden identifiziert worden. Er musste seine junge Familie zurücklassen - sein Sohn Harald war gerade im Oktober 1928 auf die Welt gekommen - seine Raketenexperimente abbrechen und begab sich im Januar 1929 in den Schweizer Höhenluftkurort Leysin (2113 m) im Kanton Waad. Dort hatte der Arzt Dr. Rollier ein Sanatorium für Tuberkulosekranke eingerichtet. Man kannte zwar durch die Entdeckung von Robert Koch den Erreger, hatte aber noch keine Mittel dagegen. So bestand die Therapie aus Sonnenbestrahlung und frischer Luft. In 2000 Meter Höhe ruhte man auf Liegestühlen oder machte unter Anleitung körperliche Übungen. Aufgrund seiner Knochenerkrankung war Hückel aber meist an das Bett gefesselt. Im September 1929 wechselte er ins österreichische Stolzalpe (1300 m). Seine eigene gesundheitliche wie finanzielle Situation beschrieb er damals wie folgt: Sehr geehrter Herr Winkler! Ihr werter, nach Neu-Titschein gerichteter Brief wurde mir hierher nachgesandt und so sehen Sie, daß ich noch nicht das Glück habe, wieder gesund zu sein. Ich glaube, daß es notwendig ist, Ihnen ein genaues Bild meines Zustandes zu geben und darum bitte ich Sie, mir zu gestatten, dies zu tun. Schon als ich Sie zu Ostern 1928 besuchte, war ich seit vier Monaten krank. Da man die wahre Ursache meiner Krankheit nicht erkannte, machte ich bis Januar 1929 zahlreiche Kuren gegen Rheumatismus durch. Dann schrieb ich Ihnen Ende Januar oder Anfang Februar aus Wien. Damals fand man heraus, daß mein Leiden tuberkulöser Natur wäre. Es handelt sich um die tuberkulöse Erkrankung eines Rückenwirbels (Schondylitis) und der Weichteile eines Knies. Ich fuhr darauf sofort nach dem Höhenkurort Leysin in der Schweiz. Von dort übersiedelte ich Ende September hierher. Seit Februar bin ich bettlägerig und werde es, obwohl sich mein Zustand ständig bessert, noch ziemlich lange sein. Ich selbst rechne damit, daß es mindestens noch ein Jahr dauern wird, bis ich zu meiner Arbeit und meinem Beruf werde zurückkehren können. Wenn ich von den seelischen Folgen, welche dieser Schicksalsschlag für mich hat, absehe, so bleiben immer noch die gewaltigen materiellen Einbußen, die ich durch mein Fernsein vom Beruf erleide. Während ich, bei voller Ausübung meines Berufes im heurigen Jahr etwa 200 000 M (und wahrscheinlich mehr) verdient hätte (allerdings ohne Steuerabzug) stellt sich mein Einkommen unter den jetzigen Umständen auf etwa 25000 M. Sie können mir diese Zahlen ruhig glauben. Sie werden bei oberflächlicher Berechnung finden, daß unter Berücksichtigung meiner Kurkosten und der Kosten für ein standesgemäßes Leben meiner Familie von den 25000 M jährlich nicht viel bleiben kann. Verzeihen Sie, daß ich Sie mit solchen Details belästige, aber ich lege Wert darauf, Sie von den Gründen meines Verhaltens zu überzeugen. (Brief vom 28.11.1929)
Der erste Raketenpionier, der in den Genuss seiner Unterstützung kam, war Max Valier. Die Valierschen Versuche mit Raketenautos, - schlitten und Schienenwagen interessierten ihn. Selbst konnte er nicht dazu beitragen. Daher übersandte er Valier 1928 einen Förderbetrag von 1000 Reichsmark. In der Folge begann ein intensiver Briefwechsel mit Johannes Winkler als auch mit dem Vorstand des VfR. Winkler hatte ihm angeboten, Teilhaber an einer Unternehmung zur Raketenentwicklung zu werden. Aus den oben genannten Gründen musste Hückel aber ablehnen. Im Gegenzug bot er im Mai 1930 Winkler (finanzielle) Unterstützung bei dessen Raketenexperimenten an. Er war sich im Klaren, dass er auf längere Sicht keine eigenen Arbeiten mehr vornehmen konnte, möchte die Raketensache aber unterstützen. Dazu schrieb er an Winkler: Für einen Bau nach Ihrer wissenschaftlichen Leitung würde ich schon einige tausend Mark hergeben, wenn Sie mir auch die Verwendung der Gelder für diesen Zweck garantieren können. Zu Ihnen habe ich vollstes Vertrauen aber zu mir unbekannten Menschen natürlich nicht. Ließe sich trotz Junkers Patente so etwas machen? (Brief von 20.05.1930). In seiner Antwort vom 18.06.1930 schätzte Winkler ein, dass er ca. 50 Stunden im Monat für eigene Forschungsarbeiten an der Rakete erübrigen könnte. Die Arbeiten seien zwar eng mit seinem Auftrag bei Junkers in Dessau verzahnt, aber es sollten sich eigene, patentfähige Ansätze finden lassen. Er gab einen Bedarf von bis zu 150 Reichsmark im Monat an. Alternativ könnten bestimmte Leistungsschritte mit je 1000 Reichsmark honoriert werden. Hückel ist erfreut über die Reaktion und machte gleich konkrete Vorschläge zu Abrechnung und zu Leistungsstufen. Gleichzeitig teilte er aber auch mit, dass er mit der Nebel-Gruppe Kontakt aufgenommen hat: Da ich etwa vier Wochen auf Ihre Antwort warten mußte (Ich bitte das nicht als Vorwurf aufzufassen, es ist bloß eine Feststellung) so sagte ich auch in Berlin meine Unterstützung zu, unter der Bedingung, daß die Gelder für den Rak.- Bau verwendet werden und insbesondere im Hinblick auf die angeblich nahezu fertige 2.5 m Rakete. (Brief vom 27.06.1930) Von der Berliner Gruppe war er um Mitfinanzierung des Zertifikats bei der Chemisch-Technischen Reichsanstalt angefragt worden. Hier wurden 1000 Reichsmark benötigt, um die Vorführung am 19. Juli vornehmen zu können. Hückel wandte ein, dass er den Zweck eines Gutachtens nicht erkennen könne. Vielmehr würde das Geld der eigentlichen Entwicklung entzogen. Statt dessen sagte er eine regelmäßige monatliche Zuwendung an den Verein für Raumschiffahrt für die Raketenentwicklung in Höhe von 500 Reichsmark zu. Diese Donation ging als „Hugo-Hückel-Stiftung“ in die Vereinsunterlagen ein. In den Mitteilungen des Raketenflugplatzes vom November 1930 ist dem ein Beitrag gewidmet.
Hugo-Hückel-Stiftung
Herr Ing. Hugo A. Hückel, Neu-Titschein, CSR, zur Zeit Stolzalpe/Österr. Kurhaus, der bereits mehrere Mal durch seine weitgehenden Unterstützungen der Raketenidee wesentliche Dienste geleistet hat, hat sich neuerdings um den Verein verdient gemacht. Er hat einen Betrag von monatliche RM 500,-- für die Flottmachung unserer Minimumrakete zur Verfügung gestellt, um endlich einmal einen praktischen Erfolg auf dem Raketengebiet von deutscher Seite aus zu erlangen. Die Arbeiten wurden von den Herren Dipl.-Ing Nebel und Riedel in Bernstadt/Sa. ausgeführt. Sie gestaltete sich wegen der zahlreich auftretenden neuen Probleme sehr schwierig, endete aber mit einem Erfolg insofern, als nach zahlreichen Umbauten und Neukonstruktionen zirka 20 Brennversuche vorgenommen werden konnten. Die Brenndauer der Rakete, die auf 15 Sek. bemessen war, wurde erst bei einigen Brennversuchen nur mit 5 Sek. erreicht. Bei einem Brennversuch erfolgte eine Explosion des Benzintanks, der Schaden war in kürzester Zeit behoben. Bei dem letzten Brennversuch erfolgte eine Explosion des Sauerstofftanks, dadurch, dass die Druckerzeugung zu stark war und anscheinend dass Sicherheitsventil, das bereits mehreren Umkonstruktionen unterworfen war, nicht funktionierte. Die Arbeiten wurden daraufhin in Bernstadt abgebrochen und wieder nach Berlin verlegt. Wie aus der Vereinsbilanz ersichtlich ist, floss das Geld ab August 1930 an den Verein.
Zwischen August und Oktober 1930 setzte Hückel seine Kur im österreichischen Simmeringen (960 m) fort, um dann wieder ins Kurhaus Stolzalpe zu gehen. Die Abstimmungen mit Johannes Winkler zogen sich noch etwas hin. Im Brief vom 03.03.1931 ging es um letzte Absprachen und die Hinterlegung einer Banksicherung für Winkler: Andererseits würdige ich die Gründe, die Sie von einem sofortigen Austritt [bei Junkers] abhalten und ich fasse Ihre Darlegungen so auf, daß Sie diesen spätestens am 31. März vollziehen, auch dann, wenn wider Erwarten Ihr Nachfolger bis zu diesem Datum noch nicht eingetroffen sein sollte. Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob diese meine Auffassung richtig ist. Unsere Zusammenarbeit würde demnach spätestens am 1. April beginnen. Sobald mir der Tag Ihres Austrittes bekannt ist, werde ich sofort veranlassen, daß Ihnen seitens der " Deutschen Bank " die gültige Zusicherung entsprechend dem Ihnen vorgelegten Entwurf zukommt. Die 1. Überweisung würde dann einen Monat nach Beginn unserer Zusammenarbeit erfolgen. Der Wortlaut des Entwurfes und die Qualität der Bank bürgen wohl für eine 100%ige Sicherheit. Zu diesem Zeitpunkt war bereits der erste erfolgreiche Start einer europäischen Flüssigkeitsrakete erfolgt. Winkler berichtete Hückel am 21.02.1931 über diesen Erfolg: Wir hatten heute wiederum einen Versuch auf dem Exerzierplatz. Das Modell ist nun zum ersten Male aufgestiegen, infolge einer immerhin vorausgesehenen Störung zwar nur etwa zwei Meter hoch, jedoch sind wir nun trotzdem die ersten, denen es prinzipiell gelungen ist, eine Flüssigtreibstoffrakete vom Erdboden hochzubringen, wenn es auch nur ein sehr bescheidene Anfang ist. Dem Start waren umfangreiche Experimente Winklers, wissenschaftliche Diskussionen per Brief und Einzelüberweisungen Hückels an Winkler vorausgegangen. Hückel hatte, wie angekündigt, seine Förderung mit konkreten Arbeitsschritten verbunden. So wurde im Juli 1930 der Arbeitsplan Winklers kommentiert: Was nun Ihren Arbeitsplan betrifft, so bin ich einstweilen mit 1 und 2 einverstanden. Bei 1 (1Kilogramm leer, 1,72 Kilogramm Brennstoff) müßte so lange verharrt werden, bis ein einwandfreier Abschuß gelingt. In diesem Falle bin ich sodann mit dem Bau des zehnmal größeren Apparates einverstanden, empfinde es hier aber schon als wünschenswert, daß dieser mit einem Fallschirm zurückkehrt. Punkt 3 (Registrierrakete) ist, glaube ich noch nicht spruchreif und es ist einstweilen nicht dringend darüber zu entscheiden. (Brief vom 07.07.1930)
Der Ingenieur
In den folgenden Monaten bis zum Start der HW1 geht es um Materialfragen, technische Details und die Erfüllung von Voraussetzungen vor den Arbeiten an einer größeren Rakete: Was nun das Material betrifft, so ist es wohl wichtig, daß Sie das im Augenblick greifbare genommen haben. Doch möchte ich, sobald man mit den gebräuchlichen Metallsorten einen einwandfreien Aufstieg erzielt hat, mit Modell 1, sodann mit den dzt. bestens geeigneten Metallen solange Versuche und Abänderungen vornehmen, bis das Maximum an Qualität und Leistung erreicht ist. Erst dann möchte ich an den Bau der 10x größeren Type schreiten. Ich bin mir allerdings der Schwierigkeiten bewußt, die einer Verbesserung der thermodynamischen Grundlagen entgegenstehen. Z.B. bewirkt eine Erhöhung des Druckes wieder schwerere Behälter, die Erhöhung der Temperatur wieder (durch Verbrennung einer größeren Methanmenge) beschwert die Ausströmgase durch Bildung einer größeren Menge des schweren CO2. Es würde mich in diesem Falle Ihre Meinung interessieren, wo in diesem Falle das Optimum liegt. (Brief vom 18.07.1930) Und er fährt mit Berechnungen fort, die seine Erwartungen an die Leistungsmerkmale des ersten flugfähigen Modells untermauern: Es handelt sich um das Max. v. RT einerseits und den Vergleich von Schub (in Abhängigkeit von p0) und Gewicht der Rakete andererseits. Im vorliegenden Falle: 6.85/2.72 = 2.52 (den Schub errechne ich zu: 1.75/27.1/g.1070 = 6,95kg). b0 = 25 m/s2. Bevor wir also zum Bau des nächst größeren Modells schreiten, müßten wir trachten beim jetzigen Modell das RTmax und das größtmögliche Schub-Gewichtsverhältnis zu erzielen. Denn mit den jetzt genannten Größen können wir uns sicher nicht zufrieden geben. Hückel ist es wichtig, dass die Möglichkeiten sorgfältig geprüft werden, gleichzeitig aber auch sparsam mit den Materialien umgegangen wird. Im Sommer 1930 erhielt er von Winkler das Manuskript für ein Buch über die Raketentechnik zum Gegenlesen. Er las sorgfältig, stellte Fragen, prüfte Formeln und Zahlenwerte und schlug Ergänzungen vor: Ich vermisse allerdings in Ihrem Manuskript ein Kapitel, das meiner Meinung nach organisch dazu gehört: die Festigkeitsrechnungen bei tiefen Temperaturen. In diesem Zusammenhang weise ich auf Ihre Behälterkonstruktion hin, die einerseits durch die Gashülle wärmeisolierend wirkt, andererseits die Verdampfungsverluste durch Abkühlung des dicken Mantels bei der Füllung vermeidet. Auf Seite 72-73 nennen Sie das Behältergewicht für ein Kilogramm flüssigen Sauerstoff bei 30 ata. mit 7, 5 Kilogramm und ermitteln daraus die verdampfende Menge. Es wäre interessant zu erfahren, mit welchen Festigkeitswerten Sie bei diesen tiefen Temperaturen gerechnet und den Behälter dimensioniert haben. (Brief vom 11.08.1930) Winkler ist beeindruckt und antwortete ihm am 01.09.1930: Ich ersehe daraus zu meiner Freude, daß Sie sich in starkem Maße in die Theorie der Rakete eingearbeitet haben. Daß in der letzten Zeit die praktischen Arbeiten nicht so recht gefördert werden konnten, brauche ich Ihnen ja nicht weiter zu erklären; um so mehr hoffe ich jetzt etwas vorwärts zu kommen. Auch mir liegt alles daran, wenn irgend möglich, den ersten Aufstieg einer Flüssigkeitsrakete uns Deutschen zu sichern. Seine Erfahrungen zum Materialfestigkeit beschreibt er kurz und prägnant: Die Festigkeit bei tiefen Temperaturen: Man ist leicht geneigt, den Einfluß zu überschätzen. Versuchsmaterial besitze ich nur von Aluminium und Elektron bis - 83°, die Zunahme der Festigkeit beträgt nur wenige %. Aus solchen Beobachtungen ist mir bekannt, daß das Material bei tiefen Temperaturen von - 180° zwar spröder aber nicht immer wesentlich fester wird. Blei wird zum Beispiel durchaus nicht wie Eisen. Ich werde eigene Messungen nebenher durchführen, wenn von Zeit zu Zeit etwas Flüssigsauerstoff übrig bleibt. Er fügt dem Brief Rechnungen in Höhe von 650 Reichsmark bei und bittet Hückel um einen weiteren Vorschuss. Ende September kann er berichten, dass der Mechaniker aus den Junkers-Werken jetzt regelmäßig beim ihm ist, um den Aufbau der Rakete voranzutreiben. Bei ihm arbeitete jetzt Richard Baumann, der später auch am Modell 2 mitwirken sollte.
In der weiteren Diskussion entwickelte Hückel die Idee, die Außenhaut der Rakete gleichzeitig als Behälterwand für die Tanks zu nutzen und so das Masseverhältnis zugunsten von Treibstoff und Nutzlast zu verbessern (Brief vom 14.11.1930). Im Briefwechsel kommen auch immer stärker Vereinsangelegenheiten zur Sprache. Winkler war nach seinem Umzug nach Dessau vom Vereinsvorsitz zurückgetreten, er hatte ein heftiges Zerwürfnis mit Erich Wurm, der als Leiter der VfR-Geschäftsstelle Berlin fungierte. Nach seinem Eindruck beanspruchte dieser mehr als die Leitung der VfR-Geschäftsstelle in Berlin. Oberth übernahm den Vereinsvorsitz, Willy Ley wurde sein Stellvertreter. Während Winkler sehr offen Einschätzungen zu den Personen lieferte, äußerte sich Hückel sehr zurückhaltend. Er kenne alle nicht persönlich und hatte infolge seiner Situation auch keine Gelegenheit zu einem Treffen. Trotzdem hätte er gern klare Verhältnisse im Verein, insbesondere im Vorstand. Über seine Zuwendungen möchte er stärker Einfluss nehmen (Brief vom 14.11.1930) und drängte Winkler, offene Vereinsangelegenheiten, wie Ummeldung aus Breslau nach Berlin sowie Vereinskonto zu klären (Brief vom 16.12.1930). Winklers Reaktion darauf ist heftig (Brief vom 18.12.1930), so dass Hückel zu einer Erklärung ausholen muss: Der Eindruck den ich von diesem [Brief] empfing war, daß ich da bei Ihnen einen wunden Punkt berührt habe – natürlich ohne es vorher zu wissen. Im anderen Fall hätte ich es sorgfältig vermieden dieses Thema anzuschneiden, obwohl mir sehr viel daran liegt, daß die Verhältnisse im Verein, konsolidiert befriedigt und die Gegensätze innerhalb der führende Mitglieder geschlichtet werden. Soviel ich weiß dauert nun dieser Kampf aller gegen alle seit etwa Mai, also acht Monate und es ist kein Ende abzusehen und er wird auf dem Rücken des Vereins ausgetragen. Deshalb haben die 350 zahlenden Mitglieder ein Recht darauf zu verlangen, daß innerhalb der führenden Vorstandsmitglieder Friede geschlossen wird. Ich bemühe mich ganz allgemein zu schreiben und will jede Einzelfrage vermeiden. und zwar dies hauptsächlich deshalb, weil ich mich nicht zum Schiedsrichter berufen fühle. Natürlich habe ich auch in Einzelheiten meine Meinung, doch da die Grundlagen für diese immer aus einseitigen Mitteilungen stammen, ist es sehr zweifelhaft ob diese meine jetzigen Ansichten richtig sind. Selbst auf die Gefahr hin von Ihnen mißverstanden zu werden, muß ich betonen, daß ich meine Aufgabe darin erblicke, überparteilich zu urteilen und zu handeln. (Brief vom 03.01.1931) Im Brief vom 07.01.1931 legte er nach: Dazu kommt überdies die Überzeugung, daß Sie heute jener sind der in ganz Deutschland am tiefsten in die Theorie und Praxis der Flüssigkeitsraketen eingedrungen ist. Seit Valiers Tode ist mir kein Konkurrent bekannt. Ich gedenke seiner stets mit großer Hochachtung. Doch das nur nebenbei. Der Umstand nun, daß Sie der Berufene sind, die Raketenidee zu einem endlich erfolgreichen Ende ( beziehungsweise Anfang) zu führen, bestimmt mich, Sie zu bitten, jenen Rest von Kraft und Zeit, der Ihnen mit Rücksicht auf die gesundheitlichen Forderungen von Ihrem Beruf noch verbleibt, ungeteilt und restlos der Erschaffung der Flüssigkeitsrakete zu widmen. Ich meine damit, daß mir Ihre Zeit viel zu kostbar erscheint, als daß ich es richtig finden könnte, wenn sie auch nur einen kleinen Bruchteil derselben dem Verein widmen. Valier tat es auch nicht sondern lebte zu 100% in seinem Ziel. Der Verein ist ja nicht Selbstzweck sondern hat eine Bestimmung zu erfüllen und wenn diese Bestimmung auf einem andern Wege erreicht werden kann, so ist es gleichgültig ob der Verein besteht oder nicht. Lassen Sie ihn seitwärts liegen, messen Sie ihm keine solche Wichtigkeit bei. Ist es nicht schade soviel Nervenkraft aufzuwenden für oder gegen eine Sache,die es sicher nicht wert ist, wo Sie nach Ihrer eigenen Meinung für das Durchhalten Ihrer Nerven bei Ihrer jetzigen Inanspruchnahme Sorge tragen? Ich verstehe wohl, daß es gerade für Sie, der den Verein jahrelang geführt hat, nicht leicht ist, sich nun gänzlich zu trennen, doch glaube ich, daß Sie bei einiger Überlegung, sich meinem Standpunkt anschließen werden.
Hückel möchte die Zusammenarbeit mit Winkler nicht gefährden, zumal sein Beitrag sehr einseitig ist. Andererseits spricht er als Finanzier der Aktivitäten auf Augenhöhe mit den Spendenempfängern. Zumal er deren wissenschaftlich-technische Leistung einzuschätzen vermochte und sich mit eigenen Ideen einbrachte. Beide versuchten, die Situation zu entschärfen, Verstimmungen zu vermeiden. Dies wird aber auch in Zukunft nicht ganz ausbleiben. In den Folgemonaten konzentrierten sich sich erst mal auf technische Details und die Abrechnung.
Der große Erfolg des ersten Raketenstarts im März 1931 durch Winkler gab der Zusammenarbeit weiteren Auftrieb. Auch das Mitteilungsblatt des Vereins würdigt in der Märzausgabe dieses Ereignis: Die Flüssigkeitstreibstoffrakete, die am 14. März in Dessau aufgestiegen ist, trägt drei Aufschriften. Die eine nennt den Namen ihres Erbauers (Winkler). Wenn es mir vergönnt gewesen ist, den Erstaufstieg einer Flüssigkeitstreibstoffrakete für Deutschland zu sichern, so verdanke ich das zum großen Teil dem ersten Mäzen der Raumschiffahrt, Herrn HUGO A. HÜCKEL in Neutitschein, der in selbstloser Weise durch einige Tausend Mark der großen Kulturidee zu einem Sieg verholfen hat. Der Name „Hückel“, die zweite Aufschrift an dem Apparat, wird für alle Zeiten in der Geschichte der Raumschiffahrt einen Ehrenplatz einnehmen. Das dritte Schild trägt die lat. Inschrift „Astris“ - unser Endziel.
Bereits im Januar 1931 tauschte man zu den nächsten Schritten im Arbeitsplan aus. Auf der einen Seite erwartete Hückel sorgfältiges Vorgehen, auf der anderen Seite drängte er auf eine größere Rakete. Winkler hatte sich Anfang März mit den monatlichen Zuwendungen Hückels selbstständig gemacht, seinen Job bei Junkers aufgegeben und widmete sich nun ganz der Entwicklung von „Modell 2“. Zum Briefwechsel blieb wenig Zeit, so dass Hückel sich am 21.03.1931 beklagte: Von dem heute empfangenen Schreiben abgesehen, habe ich in diesen 14 Tagen bloß drei Seiten erhalten und eine wissenschaftlich-technische Aussprache über die weitere Arbeit hat gar nicht stattgefunden. … Ich sehne mich nach einer Zeit stetiger Entwicklungsarbeit, wo unsere Korrespondenz zu 80 - 90% technisch-wissenschaftlichen Inhalts sein wird. Auch betrachtete er das Erreichte kritisch, da die errechnete Steighöhe von 1000 m nicht annähernd erreicht wurde. Er spricht sogar von einem Mißerfolg. Und er wagte sich mit dem Vorschlag hervor, die Arbeiten auf dem Raketenflugplatz Berlin fortzusetzen, trotz der Differenzen mit Nebel. Meine Ansicht ist die, daß es von größtem Nutzen für die Entwicklung der Raumschiffahrt wäre, wenn alle Kräfte vereinigt wären. Insgeheim (vor Abschluß unserer engen Arbeitsgemeinschaft) habe ich es mir immer gewünscht, daß sich Ihnen wieder die Möglichkeit bieten möchte, im Rahmen des V.f.R. zu arbeiten, insbesondere jetzt, wo sich derselbe in der Reichshauptstadt befindet, soweit ich es beurteilen kann, ein geeignetes Gelände und Gebäude und eine Werkstatt zur Verfügung hat. … Als Ideal wäre es mir erschienen, wenn Sie mit meiner Unterstützung am Berliner "Raketenflugplatz" im Rahmen des V.f.R. hätten arbeiten können, doch habe ich es nie gewagt mit diesem Ansinnen wegen der früheren Differenzen an Sie heranzutreten. Winkler fuhr daraufhin Ende März 1931 nach Berlin und besuchte den Raketenflugplatz. Zwar seien die räumlichen Bedingungen für Experimente gut, aber es sah weiterhin keine Vertrauensbasis mit Nebel. Auch ein weitere Umzug nach Berlin wolle er der Familie nicht zumuten. Aber Hückel lies nicht locker. So fragte er am 09.04.1931 nach: Wohnverhältnisse in Berlin: wäre es nicht möglich, daß Sie Ihre Bedingungen nennen, Kostenpunkt und Zimmerzahl? Vielleicht ist es Herrn Nebel möglich Ihnen etwas Entsprechendes ausfindig zu machen. Sie sprechen auch sonst von Bedingungen; wäre es nicht möglich, daß Sie diese alle in konkrete Form fassen, über die sich dann sprechen ließe? Es handelt sich auch um den Verein. Wenn wir wollen, daß derselbe nicht eingeht sondern im Gegenteil einen entsprechenden Aufschwung nimmt, so glaube ich, daß es nötig sein wird, daß Sie doch Ihre Arbeiten in nicht zu ferner Zeit im Rahmen des Vereins fortsetzen. Es handelt sich bei dieser meiner Überlegung nicht darum, daß ich ein nicht lebensfähiges Gebilde, den Verein, nur um seiner selbst willen mit Gewalt erhalten will. Ich glaube vielmehr, daß der Verein eine eindrucks- und wirkungsvollere Basis bei Verhandlungen mit den Behörden abgeben würde, als dies eine Privatperson tun kann. Ich glaube Ihnen gern, daß Sie mit Herrn Nebel nicht Freundschaft schließen können, aber wäre es nicht möglich eine exakte und vollständige Arbeitstrennung durchzuführen, so daß ein Nebeneinanderarbeiten ohne Reibungsflächen möglich wäre. Und er drängt weiter auf die Entwicklung der größeren Rakete, des Modells 2. Läßt es sich heute schon abschätzen, wann der erste Brennversuch mit M2 stattfinden dürfte? (Brief vom 01. 04.1931) Er ist ungeduldig, aus seiner immobilen Situation heraus verständlich. Da er auch aus Berlin mit Meldungen versorgt wird, weiß er um den ersten erfolgreichen Start auf dem Raketenflugplatz im Mai 1931. Er verglich die erreichten Arbeitsstände: Soweit ich es beurteilen kann, steht der Apparat auf der Entwicklungsstufe unseres M1, nur die Fernbetätigung ist noch nicht entwickelt und recht primitiv. Ich möchte in diesem Zusammenhang doch noch einmal die Frage aufwerfen, ob M2 nicht als Ganzes mit dem Fallschirm gelandet werden sollte. (Brief vom 22.05.1931) Bereits im März war er in den Vereinsvorstand gewählt worden. Der VfR honorierte damit seine monatlichen Zuwendungen. Ab Anfang 1931 hatte er die Zuweisungen an den VfR auf 250 Reichsmark reduzieren müssen, um gleichzeitig Winkler finanzieren zu können. Aber nun war er neben Oberth, Ley, Nebel, Hohmann, Winkler, Riedel, v. Dickhuth-Harrach und Wurm im Vorstand aktiv. Diese Zusammensetzung änderte sich aber bereits im Mai wieder, als Oberth überraschend aus dem VfR austrat. Die Vereinsführung oblag nun Willy Ley, erst im Dezember 1931 wurde Hanns-Wolf von Dickhuth-Harrach zum neuen Vorsitzenden gewählt. In der Zwischenzeit gehen die Entwicklungsarbeiten bei Winkler in Dessau voran. Neben der Verbesserung von Ventilen, der Düsengestaltung und Schweißübungen mit dem Elektronblech arbeitet er an einem Messstand, der den Schub des neuen Triebwerks registrieren soll. Seine Berichte sind lang, aber nicht so häufig, wie von Hückel gewünscht. Daher erinnerte er im Juni 1931 an regelmäßige Berichterstattung: Daß Sie mich gut 4 Wochen ohne Nachricht ließen (das Schreiben vom 16. kann doch nicht gut zählen) hat recht verstimmend auf mich gewirkt. Es wäre ja noch länger geworden, wenn ich nicht gedrahtet hätte, was ich getan habe weil ich wirklich nicht mehr wußte, was denn los ist. Allerdings habe ich auch mit einer Drahtantwort gerechnet, da ich diese bezahlt hatte. Wenn ich meine Ansprüche, die ich an Sie stelle, in Zahlen fasse, so bestehen sie darin, daß Sie mir 2-3 Stunden wöchentlich von Ihrer Zeit widmen, das dürfte für die Niederschrift von 7 - 10 Seiten reichlich gerechnet sein. Daß eine solche, man kann wohl sagen, Mißhandlung meiner Person auf meinen Eifer in jeder Hinsicht lähmend wirkt, ist leider Tatsache. Ich bilde mir gewiß nicht ein, daß Sie auf unsere Arbeitsgemeinschaft besonderen Wert legen, aber solange sie besteht, glaube ich doch, daß mein Anspruch auf regelmäßige und häufigere Berichterstattung nur als recht und billig bezeichnet werden kann. Seine Erkrankung, die erzwungene Untätigkeit, das unbequeme Arbeiten im Bett an komplizierten Formeln lassen den 32-jährigen reizbar werden. Auf die Nachfrage zum Stand der Arbeiten am Modell 2 gibt Winkler am 20.06.1931 umfangreich Auskunft: nicht nur der Brennraum mit polierter Düse liegt vor, auch Hähne, Manometer und weitere Kleinteile sind fertig. An der Außenhülle wird gearbeitet, die Tanks stehen noch aus, da sich die Lieferung von Elektronblech weiter verzögerte. Dazu musste er nach Bitterfeld und Leipzig fahren, um eine Firma für das Drücken der Blechteile zu finden. Gleichzeitig bemühte sich Winkler in diesen Tagen, ein größeres Testgelände zu finden. Aus der Nachbarschaft hat es bereits Klagen gegeben, es gab Briefe an die Dessauer Tageszeitung über Lärmbelästigung. Hückel erwartet weiterhin einen ersten Brennversuch und schraubt seine Erwartungen an einen Start hoch: Unter einem Erfolg verstehe ich freilich die Erreichung von mindestens 10.000m Höhe. Es ist nicht die Höhe an sich, die für mich für die Beurteilung von Erfolg oder Mißerfolg maßgebend ist, sondern der Umstand, ob die vorausberechnete Leistung erreicht wird oder nicht. Vor allem ist ausschlaggebend: erreichen wir die vorausberechnete Höhe oder erreichen wir sie nicht. Vollbringt die Maschine die Leistung für die sie gebaut ist, dann gewinnt ihr Konstruktör das Vertrauen von Fachleuten und Kundschaft, einerlei wie groß diese Leistung ist. (Brief vom 14.07.1931) Zu diesem Zeitpunkt zeichneten sich erste Fortschritte in seinem Genesungsprozess ab. Er beginnt mit körperlichen Übungen und darf sich bis zu vier Stunden am Tag bewegen. Das Aufstehen und die Bewegung geben ihm neuen Schwung.
Winkler auf dem Raketenflugplatz Berliner
Hinsichtlich eines geeigneten Versuchsgeländes wiederholte Hückel seinen Vorschlag, mit auf den Berliner Raketenflugplatz zu gehen. So schrieb er am 06.08.1931 erneut: Anläßlich der Suche nach einem geeigneten Versuchsplatz möchte ich mir erlauben, Ihnen für die bevorstehenden Brenn- und Steigversuche den Berliner Rak.-Flugplatz ernstlich in Vorschlag zu bringen und bitte Sie, meinen Vorschlag unter Berücksichtigung meiner im folgenden ausgeführten Begründung wenn irgend möglich anzunehmen. … Die Gründe, die es Ihnen unmöglich machen, einfach nach Berlin zu übersiedeln sind mir bekannt und ich anerkenne sie auch. Bei meinem Plan handelt es sich auch nur um einen verhältnismäßig kurzen Aufenthalt in Berlin und um vorerst weiter nichts. Diese, meiner Schätzung nach 2 bis 4 wöchentliche Arbeit am Rak. Flug Pl. würde aber die gute Absicht zur Einigung hinreichend dokumentieren und den Entschluß der maßgebenden Stellen zu einer wirksamen Unterstützung bedeutend erleichtern. … So bitte ich Sie, die früheren persönlichen Differenzen mit Herrn Nebel im Interesse der Sache zurückzustellen und insbesondere an die Erfordernisse der kommenden Entwicklung zu denken. Ich bitte Sie auch in unserem eigenen Interesse meinem Wunsche weitest entgegen zu kommen und zu bedenken, daß gerade jetzt der geeignetste Zeitpunkt wäre, auf der breiten Basis des VfR die Arbeiten zu einem vorläufigen Höhepunkt zu bringen, da sich dieser gerade jetzt beim DLV gut eingeführt hat. Hückel zählt eine Reihe von Vorteilen auf, zu denen neben der Material- und Gasversorgung auch das technische und wissenschaftliche Umfeld zählen. Es folgt ein intensiver Briefwechsel, der mit finanziellen Wünschen Winklers für einen zeitweisen Umzug nach Berlin und auf den Raketenflugplatz verbunden ist. Hückel setzte sich in einem Brief an die VfR-Geschäftsstelle in Berlin für eine Kooperation ein, aber Winkler zögerte noch, weil ihn neben der Trennung von der Familie auch die Preisgabe technischer Lösungen ängstigte. Mechaniker in Berlin würden sowohl für ihn als auch für die Nebel-Gruppe tätig sein, eine strikte Trennung des erlangten Erfahrungswissens wäre nicht praktikabel. Aber aus Berlin verzögern sich die Rückäußerungen, weil in der Sommerphase nicht genügend Vorstandsmitglieder für eine Entscheidung zusammen kommen. Die Stellungnahme kam dann am 31. August 1931. Nach einem Gespräch Winklers in Berlin schien sich eine Zusammenarbeit auf dem Raketenflugplatz zerschlagen zu haben, Hückel reagiert enttäuscht, möchte die Arbeiten nicht verzögern und nimmt weitere Optionen wie die Versuchsanstalt für Luftfahrt oder die meteorologische Versuchsstation in Hamburg zur Kenntnis. Gleichzeitig drängt er auf eine gründliche Erprobung aller Teile von Modell 2 und bittet um Fotos zum Arbeitsstand. Was nun die Gefährdung von Menschen betrifft, so bin ich dafür durch verhältnismäßig niedrige Aufstiege die Fallschirmauslösung solange zu erproben bis sie verläßlich funktioniert. Dieses Funktionieren gehört mit zu einem einwandfrei gelungenen Versuch und würde den Wert des ganzen Apparates in den Augen der Fachleute beträchtlich erhöhen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal meinen Standpunkt präzisieren, der dahin geht, die Vorversuche mit größter Gründlichkeit und Ausdauer vorzunehmen, so daß nach menschlichem Ermessen die ganze Vorführung 100%ig gelingt. Selbst wenn der Hauptstart um 1 oder gar 2 Monate dadurch hinausgeschoben wird, so würde ein alle Erwartungen erfüllender Aufstieg einen solchen Vorsprung bedeuten, daß er die Verspätung weit mehr als wett macht. Ich kann da auf meinen seit jeher eingenommenen Grundsatz verweisen, schon M 2 alle heute technisch möglichen Vollkommenheiten zuwenden zu lassen. Denn wie ungünstig wirkte es andernfalls, wenn wir die Fachleute hinsichtlich Beseitigung offenbarer Mängel erst auf das nächste Modell vertrösten müssen. (Brief vom 31.08.1931) Aus seiner Sicht haben Brennversuche des neuen Aufbaus von Modell 2 oberste Priorität: Trotzdem würde ich die wichtigste dieser Arbeiten doch als erste vornehmen und das sind meiner Überzeugung nach die Brennversuche. Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß ich nicht viel Vertrauen zum Raketenmotor in der vorliegenden Ausführung habe und mit Bestimmtheit damit rechne, daß noch vielerlei Änderungen sich als nötig erweisen werden. Hoffentlich irre ich mich! Aber es ist nun psychologisch leicht begreiflich, daß ich diese ewige Ungewißheit vorerst einmal aus der Welt schaffen möchte. Es widerstrebt mir an Kleinigkeiten zu basteln, während wir über das Herz des ganzen Apparates noch nichts wissen. Nur erst die Gewißheit haben, daß dieses - der Motor - in Ordnung ist und richtig arbeitet, dann arbeitet man in Ruhe und auf festem Grund weiter.(Brief vom 24.09.1931) Winkler bestätigt dies im Grundsatz, möchte aber erst die entsprechende Messapparatur fertig haben, um die Brennversuche auch zu dokumentieren (Brief von 27.09.1931). Gleichzeitig deutet sich ein überraschender Schwenk in Winklers Haltung bezüglich des Raketenflugplatzes an: Nun will er es wissen, ob die Zusagen Nebels hinsichtlich Laborraum, Werkstattnutzung und Materialbereitstellung belastbar sind. Daher entscheidet er sich, Hückels Vorschlag zu folgen und in Berlin weiterzumachen. Hückel reagiert prompt und informiert Nebel als Leiter des Raketenflugplatzes (Brief vom 30.09.1931) von der anstehenden Ankunft Winklers. Dabei bringt er seine Erwartung zur Zusammenarbeit zum Ausdruck. Und er weiß gleichzeitig um sein Druckmittel Geld. Denn Winkler gegenüber kündigte er an, seine monatliche Zuwendung an den VfR zum Jahresende einzustellen. Und er bekräftigte seine Haltung im Brief vom 07.10.1931, sollte es kein Einlenken seitens Nebel geben. Sollte Nebel auf für uns unvorteilhafte Bedingungen bestehen, so habe ich die Absicht ihm mit der Einstellung meiner Zahlungen zu drohen und im Falle seines Widerstandes werde ich auch diese Drohung verwirklichen. Ich glaube damit eine sehr wirksame Waffe für unsere Interessen in Händen zu haben, da mir nichts davon bekannt ist, dass der Verein noch andere nennenswerte Geldquellen hat oder solche in Aussicht stehen. Andererseits ist Hückel sich seiner Zwitterrolle für Winkler und den VfR bewußt: Ich habe Dzt. einen sehr schweren Stand dem Verein gegenüber, da dieser stets auf seine Erfolge (mit Recht) hinweist und mir Ungerechtigkeit deshalb vorwirft, weil ich Sie bevorzuge, wie es ja der Fall ist. Er spielte sogar den Gedanken eines Austritts durch (Brief von 09.10.1931) und setzt sein ganzes Gewicht ein, zu einer vernünftigen Vereinbarung zu kommen: Ich bin aber über Nebels Verhalten seit ihrem Eintreffen am Rak. Flg. Pltz ziemlich aufgebracht, was in erster Linie meiner Überzeugung zuzuschreiben ist, dass ohne meine Hilfe heute kein Rak. Ffg. Pltz und kein Verein mehr existieren würde, wenn ich auch Nebels und Riedels Verdienst mit berücksichtige. Wenn also Nebel glaubt ganz ohne mich jetzt entscheiden zu können und den ganz großen Herrn spielen zu dürfen, so wird er gut daran tun, mit zu berücksichtigen, dass er auf jede künftige Unterstützung meinerseits verzichten muss, da ich es mir auf keinen Fall gefallen lassen kann, dass Nebel Ihnen und damit auch mir finanziell ungünstige und sonstige unvorteilhafte Bedingungen stellt, bin ich gezwungen dem Verein die weiteren Unterstützungen zu entziehen, wenn es zu keiner uns völlig befriedigenden Einigung kommt. Ich habe diesen Standpunkt dem Verein in einem Brief v. 7. d. M. kurz und klar mitgeteilt und hinzugefügt, dass jede Abmachung zwischen dem Verein und Ihnen meiner Zustimmung bedarf. Winkler kann ihm da schon eine Geländeskizze sowie den Grundriss seines Laborgebäudes auf dem Raketenflugplatz zukommen lassen. Als gewissenhafter Kaufmann prüfte Hückel jede Position der Abrechnung Winklers und lies sich die Mehrausgaben in Berlin im Einzelnen erklären. Der Einrichtung eines eigenen Telefonanschlusses stand er skeptisch gegenüber und bat Winkler, einen Doppelanschluss mit dem Raketenflugplatz zu veranlassen (letztlich hatte Winkler dann einen eigenen Eintrag im Berliner Telefonbuch 1932 als „Raketenforschungsinstitut“, App. 4214).
Spanndrähte
Auch in theoretischer Hinsicht brachte sich Hückel mehrfach in die Korrespondenz ein. Hier kann nur ein Beispiel aufzeigen, dass er sich trotz seiner körperlichen Beschwerden und der damit verbundenen Untätigkeit tief in verschiedene Fragestellungen einarbeitete und die Formeln der Elektrotechnik und Raketentheorie virtuos beherrschte.
Winkler setzte zur Öffnung der Brennstoffzufuhr Ventile ein, die mit einer Feder vorgespannt waren. Gab man den Hahn frei, so öffnet sich das Ventil. Infolge von Vereisung klappte dies nicht immer. Der Hahn wurde beim Versuchsaufbau durch einen Draht blockiert, der mit einem Akkumulator nach Einschalten des Stromkreises erhitzt wurde und schmolz. Aber auch das klappte nicht immer, es gab zahlreiche Fehlversuche. Daher versuchten beide, dem Problem auf den Grund zu gehen. Winkler stellte fest, dass das Joulsche Gesetz nicht greifen würde. War es die zusätzliche Kühlung am eiskalten Ventil, die eine höhere Wärmeleistung erforderte? Daraufhin stellte Hückel einige theoretische Annahmen an, verglich die elektrischen Eigenschaften von Stahl, Kupfer und Aluminium. Er berücksichtigte den Drahtquerschnitt, dessen Länge, dessen Widerstand, ermittelte die erforderliche Wärmemenge, um die Festigkeit auf ein Drittel zu reduzieren und machte Vorgaben für die erforderliche Stromstärke. Er fragte direkt: Bei dieser Gelegenheit wollte ich fragen ob Sie bei den Versuchen des Durchglühens in den Stromkreis ein Amperemeter geschaltet haben, um den maximalen Strom einzustellen? Ich möchte es sehr befürworten, der Frage des Durchglühens jetzt das gründlichste Studium zu widmen, es hat uns dieses Problem schon manchen Versuch verdorben. (Brief Hückels vom 11. Februar 1932) Winkler bestätigte in Brief vom 15. Februar 1932 Hückels Analyse: Besten Dank für Ihr Schreiben vom 11. ds. Mts. Ihre Ausführungen über die Spanndrähte kommen den tatsächlichen Verhältnissen schon recht nahe. Ich lege Ihnen 1 Blatt bei, auf welchem ich die durch die Versuchsreihe erhaltenen Werte für die Durchbrennzeit z in Abhängigkeit vom Klemmenabstand zur Übersicht aufgetragen habe. Für Kupfer 0,5 u.0,7 mm brannte der Draht nicht durch. Die Belastung betrug in allen Fällen 1 kg, bei 0,12 mm Kupferdraht war die Belastung nicht möglich. Es ist deutlich die charakteristische Kurve zu erkennen die vom Abstand 0 ausgehend aus dem unendlichen rasch auf ein Minimum sinkt und dann langsam ansteigt. 0,25 mm Stahldraht ist nicht kräftig genug, er befindet sich gerade an der Grenze. 0,5 mm Draht scheint erwünscht. Es kommt daher nur eine Spannung von ca. 8 V in Betracht und ein Klemmenabstand von 5 bis 20 mm. Die Ampere kann ich mit unserem Instrument nicht messen, es fehlen mir die entsprechenden Widerstände, ich werde sie mir kommen lassen. Eine Vergrößerung der Voltzahl wäre günstig und ich werde evtl. noch ein oder zwei Akkus besorgen. Die Spannung kann ich mit unserem Instrument messen. Es freut mich, daß Sie sich der Mühe unterzogen haben, der Sache theoretisch auf den Grund zu gehen.
Winkler konnte also nach den Angaben Hückels eine Versuchsreihe durchführen und die Ergebnisse in einem Diagramm abbilden, die Hückels theoretische Betrachtung bestätigten.
Modell 2
Im Zuge der Diskussion um Modell 2 hatte Hückel die revolutionäre Idee, die Außenhaut der Rakete gleichzeitig als Behälterwand für die Treibstoffe zu nutzen. So schrieb er am 14. November 1930 an Winkler: Wir haben schon früher einmal festgestellt, daß die Leistung des jetzt im Bau befindlichen Model bedeutend gesteigert werden muß. Wenn man von der Brennstoffrage absieht, verbleibt noch die Verbesserung des Massenverhältnisses. Bei Betrachtung des jetzigen Model fällt sofort ein prinzipieller Fehler auf: die Behälterwände erfüllen eben lediglich diesen ihren einzigen Zweck. Während der Raketenmantel wieder nur den einen Sinn hat, dem ganzen die für den Luftwiderstand günstige Form zu geben. Außerdem bewirkt die Unterteilung der Brennstoffvorräte auf mehrere Behälter ebenfalls eine Gewichtsvermehrung. Schließlich findet bei der jetzigen Anordnung das Volumen der Rakete eine schlechte Ausnutzung. Alle die genannten Ursachen für ein wenig günstiges Massenverhältnis würden durch eine Anordnung, die ich in beiliegender Skizze festgelegt habe, beseitigt werden. Der Raketenmantel ist gleichzeitig Behälterwand, es ist nur je ein Behälter für O2 und CH4 und die Volumenausnutzung ist fast 100%. Es muß sich bei dieser Bauart eine ganz bedeutende Verbesserung des Massen-verhältnisses ergeben.
Winkler antwortete umgehend und bedankt sich für die Anregungen: Ihren Vorschlag, einige Brennversuche mit gasförmigen Stoffen zu machen, halte ich für außerordentlich gesund, wir erhalten so den Idealwert, den wir normalerweise mit flüssigen Stoffen noch zu überbieten kaum hoffen dürfen. Versuche mit gasförmigem Sauerstoff und flüss. Benzin habe ich bei J. schon einmal gemacht, allerdings nicht mit dieser Absicht. Die Wägung der Flaschen ist mit unserer Waage allerdings schon schwer durchführbar. Vielleicht ist es aber möglich, von unseren verflüssigten Gasen auszugehen und diese durch Wasser an der Außenwand u. sonstige Mittel rasch zu verdampfen. Es würde dies den tatsächlichen Verhältnissen noch besser entsprechen (kalter gasförm. Sauerstoff) und uns der Anfertigung eines Doppelreduzierventils entheben, wie wohl es ganz interessant wäre, ein solches einmal zu erproben. Ich hatte eine ähnliche Vorrichtung einmal für den Rückstoßer mit dem Sauerstoffträger bei J. entworfen, da eine Verschiedenheit der Drucke eine erhebliche Gefahr bedeutete, es ist aber nicht zur Ausführung gekommen, sondern es wurde durch Rückschlagventile die Gefahr vermindert. (Brief Winklers vom 12. Mai 1931)
Hückel erhoffte sich nun schnelle Fortschritte bei der Entwicklung und Erprobung von Modell 2. Regelmäßig fragte er daher nach Brennversuchen und ist enttäuscht, dass diese 1931 noch nicht stattfanden. So stellte er am 01.11.1931 fest: Besten Dank für Ihren Brief v. 29. d. Leider hat mir derselbe eine lebhafte Enttäuschung bereitet, denn ich habe damit gerechnet, in demselben schon Ergebnisse von Brennversuchen vorzufinden, umso mehr, als seit Ihrem letzten Schreiben (v. 17.) 12 Tage liegen. Das wiederholte er in den folgenden Wochen mehrfach: Es wäre nun vom taktischen Gesichtspunkte außerordentlich wünschenswert, wenn wir bei den Verhandlungen schon auf erfolgreiche Brennversuche zurückblicken können weil anzunehmen ist, dass man auf der Gegenseite um so mehr Wert auf Ihre Anwesenheit am Raketenflugplatz legt, die mehr man davon überzeugt ist, dass Sie wertvolle Arbeit leisten, weil man gefährliche Konkurrenten nicht gerne aufkommen läßt. (Brief vom 13.11.1931) Ich bitte Sie, die Brennversuche mir zuliebe um jeden Preis vorzuziehen, Sie können sich kaum vorstellen, wie sehr ich ein Ergebnis erwarte. Es fehlt solange jedes Urteil darüber wie weit wir in der Arbeit fortgeschritten sind, als der Raketenmotor nicht gearbeitet hat. (Brief vom 19.11.1931) Ich möchte vorerst über den Punkt sprechen, der mir seit jeher am wichtigsten erscheint, nämlich die Brennversuche. Ich habe nun erkannt, dass sich die Fertigstellung der Registriervorrichtungen in keiner Weise auch nur annähernd voraussagen lässt und bin der Meinung dass daher der von Ihnen jetzt eingeschlagene Arbeitsweg nicht der optimale ist. Ich begründe meinen Standpunkt damit, dass wir über den neuen Motor noch nichts wissen, dass er sich in einem Stadium befindet, welches eine Registrierung der meisten in Aussicht genommenen Größen wahrscheinlich derzeit überflüssig macht, weil die Registrierung der meisten Werte erst bei einem vorgeschrittenen Entwicklungsstadium nötig ist. (Brief vom 02.12.1931) Ich möchte Sie aber nochmals ersuchen alle weiteren Arbeiten an dem Aufzeichnungsmechanismus nicht vor Beginn der Brennversuche sondern parallel mit diesen durchzuführen. (Brief vom 03.12.1931) Winkler reagierte gereizt und antwortete ihm am 04.12.1931: Bei den grundlegenden Verschiedenheiten in den Ansichten über die Arbeitsmethode glaube ich allerdings, daß sich unsere Arbeitsgemeinschaft kaum wird aufrechterhalten lassen, es muß dies notwendig zu Verstimmungen führen und es ist zu überlegen, ob es nicht vorzuziehen ist, ist dazu nicht erst kommen zu lassen, die Opfer sind auf beiden Seiten groß und es wäre sehr bedauerlich, wenn die Arbeit mit einem Mißklang endete. Wenn ich glaube, vor anderen Raketenforschern etwas voraus zu haben, so ist das die folgerichtige Arbeitsmethode. Ich glaube, daß nur genaueste Messungen und die sorgfältigste Rechenschaft über den Versuch den wissenschaftlichen Fortschritt verbürgt und es geht gänzlich gegen meine Überzeugung, gerade die Messung zu benachteiligen. Gerade die Durchführung sorgfältiger Messungen war es, die mir bei Junkers die volle Anerkennung eintrug. Mit Brief vom 10.12.1931 ruderte Hückel etwas zurück, Nach reiflicher Überlegung bin ich zu der Ansicht gelangt, dass der vorliegende Anlass nicht zureicht, als dass ich die Verantwortung übernehmen könnte, unsere Arbeitsgemeinschaft von mir aus aufzulösen. Ich räume Ihnen daher folgerichtig das Recht ein zu entscheiden, welchen Arbeiten Sie den Vorzug geben, sofern es sich um die engere Wahl zwischen der tadellosen Fertigstellung der Messapparaturen und den Brennversuchen handelt oder vielmehr zu den Vorbereitungen zu diesen Brennversuchen. legte aber am 24. 12.1931 nach: Ich möchte Sie aber nochmals ersuchen alle weiteren Arbeiten an dem Aufzeichnungsmechanismus nicht vor Beginn der Brennversuche sondern parallel mit diesen durchzuführen. Winkler nimmt diese Empfehlung an und antwortete am 04.01.1932: Die Brennversuche gedenke ich ohne Rücksicht auf die Fertigstellung der Messapparatur zu beginnen, wenn sich zeigen sollte, dass bei der Parallelarbeit zu gleichen Teilen die Rakete früher brennreif ist als die Prüfapparatur, ich würde mich dann wie bei Mod. 1 zunächst auf die Auftriebsmessung beschränken. Ich möchte gern erreichen, dass Mod. 2 spätestens am Jahrestag von Mod. 1 aufsteigt, das wäre der 21. Februar bezw. der 14. März. Hückel reagierte zurückhaltend auf den Terminvorschlag: Sie dürfen es mir nicht verübeln, wenn ich einem bestimmten Termin für den Start kein Vertrauen mehr schenken kann. Selbst bis zum Brennen müssen wir noch auf allerhand Hindernisse gefasst sein. Wie wird die CH4-Verflüssigung funktionieren? Wird sie genügend rasch erfolgen? Wird die Einfüllung beider Brennstoffe gleichzeitig und in nur genügend kurzer Zeit vor sich gehen können, so dass übermäßige Verdampfungsverluste vermieden werden? Werden die Sicherheitsventile in gewünschter Weise ansprechen und werden uns die Hähne keine Stückle spielen? Werden die Querschnitte der Zuleitungen getroffen sein? Dann kommt das große Kapitel des Motors. Wird bei seiner derzeitigen Konstruktion ein genügend großer Bruchteil des einströmenden CH 4 verbrennen, so dass sich ein vorläufig annehmbarer Wirkungsgrad ergibt? Ich glaube, dass wir hier nötigenfalls mancherlei versuchen müssen, bis wir einen solchen Impuls erreicht haben, daß sich für M 2 rechnerisch eine Steighöhe von mindestens 10.000 m ergibt. (Brief vom 07.01.1931) Vielmehr sah er eine Reihe offener Fragen, die er hier gezielt ansprach, bevor man ein solch waghalsiges Unternehmen wie einen sicheren Start gehen könne.
Da Hückel sich finanziell sowohl für Winkler als auch für den VfR engagiert, überlegte er, die Förderung des VfR ggf. einzustellen. Er ist sich aber der daraus erwachsenden Probleme bewusst: Das Jahresende ist nun herangekommen und da ich dem Verein für diesen Zeitpunkt die Einstellung meiner Unterstützung in Aussicht gestellt habe werde ich jetzt von dieser Seite in mehr oder weniger geschickter Weise angegangen diese Unterstützung, wenn auch in verringertem Ausmaß auch im kommenden Jahr fortzusetzen. Dieser Punkt lässt sich nun von unserer Arbeit am Raketen Flg. Pltz. nicht völlig trennen. Unsere beiden Standpunkte sind ziemlich entgegengesetzt. Sie sind bestrebt, durch Lostrennung eines Teiles des R. Fl. Pltz. sich völlig selbstständig zu machen. Wenn ich mich nun auch durch völlige Abtrennung Ihrer Arbeiten von jenen des Vereins damit abfinden könnte, dass der Verein seinem Untergang geweiht wird, so muss ich doch gestehen, dass mir diese Art der Trennung sehr unsympathisch ist. (Brief vom 16.12.1931) Letztlich entschloss er sich aber, beide Gruppen im Jahr 1932 weiterhin zu unterstützen und somit monatlich 625 Reichsmark für die Raketenentwicklung zu spenden: Was nun die für die techn. Arbeiten verfügbaren Mittel betrifft, so ist es klar, dass die von mir überwiesenen Gelder diesen restlos zufließen müssen. Bei Abschluss der Arbeitsgemeinschaft werde ich doch, um der Form zu genügen, die Beträge an den Verein überweisen und für diese Beträge gilt dann IV. Verteilungsplan nicht. Was die Höhe der monatl. Beträge betrifft, so habe ich dem Verein im Falle einer Einigung 125 RM/ Mon. zugesagt. Es stünden dann den Arbeiten von mir aus 625 RM monatl. zur Verfügung. (Brief vom 28.12.1931) Während dieser Zeit wurde intensiv über eine vertragliche Regelung der Arbeitsteilung und Zusammenarbeit auf den Raketenflugplatz gerungen. Winkler legte seine Einwände gegenüber Hückel offen, der sah sich vom Krankenbett kaum zum Richter berufen: Was nun die Gemeinschaftsarbeit betrifft, so erkenne ich wohl, dass auf beiden Seiten wenig Geneigtheit hierzu besteht und dass deshalb die Vorteile, welche bei einer harmonischen Zusammenarbeit aller Beteiligten unzweifelhaft in Erscheinung treten würden, bei einer mehr oder weniger erzwungenen Zusammenarbeit ausbleiben würden. Allerdings bin ich auch jetzt noch der Meinung, dass mit etwas gutem Willen alle noch bestehenden Differenzen überwunden werden können, doch beabsichtige ich nicht irgendeinen Druck auszuüben. Ich beschränke mich daher summarisch zu erklären, dass über Detailbestimmungen einer allfälligen Arbeitsgemeinschaft zwischen unseren Ansichten keine Meinungsverschiedenheiten mehr bestehen und dass gegebenen Falls alle noch offenen Fragen durch mündliche Verhandlungen zwischen den unmittelbar Beteiligten zu klären wären. Gleichzeitig strebte Hückel eine Regelung hinsichtlich der von ihm finanzierten Beschaffungen an: Unabhängig von einer künftigen Zusammenlegung Ihrer und der Arbeiten des Vereins, habe ich Ihnen über die Regelung des Eigentumsverhältnisses zwischen Ihnen und mir geschrieben. Ich möchte Sie bitten mir meinen Vorschlag zu bestätigen, wonach alles Werkstätteninventar, Werkzeuge, Maschinen, Behälter, Apparate und sonstige Gerätschaften mein Eigentum sind und dass erschaffene Produkt, Raketen, Prüfapparaturen, Startvorrichtungen zu gleichen Teilen sowohl Ihr als auch mein Eigentum sind. (Brief vom 14.01.1932) Im Brief vom 17.01.1932 konstatierte er, dass ihn die Entwicklungsarbeiten am Modell 2 bisher 11.200 Reichsmark gekostet haben. Winkler ist wiederum irritiert und hielt ihm entgegen, dass er seinen Einsatz für die Sache auf 56.000 Reichsmark beziffere (Brief vom 21.01.1932). Hückel erkennt die Lebensleistung von Winkler an (Brief vom 26.01.1932), wandte aber ein, dass er für die Zeit vor ihrer Arbeitsgemeinschaft, also vor den Wechsel von Junkers in die freischaffende Entwicklung, nicht einstehen könne. Er entwarf daher ein Abkommen für die Werteteilung von Ausrüstung, Apparaten und weiteren Geräten. Zur Begründung führte er an: Hingegen widerspricht es völlig meinem Rechtsempfinden, wenn das erschaffene Gut nicht gleichfalls mein Eigentum ist u. zw. wie vorgeschlagen, zu gleichen Teilen sowohl mir als auch Ihnen gehörig. Wenn Sie diesen Punkt nicht anerkennen können, so würde ich zwar die Fertigstellung von M 2 nicht stören, doch könnte ich für weitere Bauten nur auf der Basis gleichen Eigentumsverhältnisses die Mittel zur Verfügung stellen. (Brief vom 29.01.1932) Obwohl die folgenden Wochen von intensiven technischen Diskussionen geprägt waren, musste Hückel Anfang März feststellen: Sie schreiben, daß Sie noch keinen Brennversuch gemacht haben, da er messstechnisch wertlos gewesen wäre. Dieser Standpunkt wäre durchaus richtig, wenn der Raketenmotor mit allem Zubehör schon in einer Weise betriebssicher ist, daß Messungen zur weiteren Vervollkommnung unerläßlich sind. Dieses Stadium haben wir aber leider noch lange nicht erreicht. Wir wissen gar nichts über den neuen Motor, es ist durchaus wahrscheinlich, daß irgendein Teil auch beim zweiten Brennversuch versagt, wie es beim 1. das Durchbrennen des Spanndrahtes der Fall war. Hier setzte sich die Diskussion vom Winter 1931 fort. Es klingt schon fast resigniert, wenn er fortfährt: Der Termin des Aufstiegs liegt aber heute in ebenso nebelhafter Ferne wie vor 1 Jahr und alle Artikel über Raketen in Zeitungen berühren mich eigentlich peinlich, weil wir noch nichts erreicht haben. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte sie diskreditieren unsere Sache, weil den schönen Worten keine Tat folgt. Ich habe erleichtert aufgeatmet als ich meinen Namen nicht fand und bitte Sie denselben absolut geheim zu halten und ihn nur im Falle meiner ausdrücklichen Bewilligung zu nennen. Ich bin fest überzeugt, daß uns nur die erfolgreiche Tat helfen wird und kann mich daher nicht entschließen, auch nur den kleinsten Betrag für Reklame oder Publizität in irgendeiner Form herzugeben. Der Grund hierfür ist, daß ich mir nicht die geringste Vorstellung machen kann, wann der Motor von M 2 einmal erfolgreich brennen wird und ob dies überhaupt einmal der Fall sein wird. […] Infolge des gänzlichen Fehlens irgendwelcher Erfolge ist aber mein Interesse für die Arbeit in den letzten Monaten stark zurückgegangen. Würde ich darüber schweigen, so würde das nichts an dieser Tatsache ändern. Ihre Vergütung ist durch das Depot bei der De-Di-Bank bis einschl. Juni gesichert. Ich habe Zeit mich bis 7. April zu entscheiden. Was tun, wenn wir am 7. April noch kein Rückstoßdiagramm haben? In wenigen Tagen jährt sich der Tag unsere Arbeitsgemeinschaft. Wie hoffnungsvoll hat es doch ausgesehen, als Sie in Aussicht stellten noch im 1. Jahr der Arbeitsgemeinschaft Modell 3 zu starten. Nun ist M 2 seit 7 Monaten fertig, wir buchen 1 Brennversuch und hängen seither an dem Problem der Fernübertragung zweier Messgrößen. Ich gebe mir die größte Mühe meinen Kleinmut zu bekämpfen und darf sagen, mit Erfolg. Aber wie lange kann es noch dauern bis ich mir werde sagen müssen, es war doch alles vergeblich. (Brief vom 03.03.1932) Winkler antwortete umgehend, berichtete vom ersten erfolgreichen Brennversuch und legte ein Rückstoßdiagramm mit einem Nachweis von knapp 100 kg Schubleistung bei (Brief vom 05.03.1932). Hückel reagierte mit deutlicher Erleichterung (Brief vom 09.03.1932). Aber schon wenige Tage später stellten sich neue Schwierigkeiten ein. Die tschechische Republik hatte ihre Devisenbedingungen verschärft, eine einfache monatliche Überweisung an Winkler schien nicht mehr möglich. Hückel bot sogar an, die Arbeitsgemeinschaft wieder aufzulösen, Winkler sollte nach Dessau zu Junkers zurückkehren (Brief vom 18.03.1932). Durch eine Verfügung der tschechischen Nationalbank vom 27. Februar 1932 wurden Guthaben bei reichsdeutschen Banken gesperrt und eingefroren. Guthaben deutscher Staatsbürger sind auf Sperrkonten zu führen, jede Kontobewegung ist durch die Nationalbank zu genehmigen. Aufgrund der neuen Bestimmungen rechnete er damit, ab Anfang Juni keine Zahlungen im Reichsmark mehr leisten zu können. Dann tat sich eine Möglichkeit auf, Mittel aus dem oberschlesischen Werk in Ratibor für die weitere Finanzierung bis Ende 1932 zu nutzen. Allerdings ließen sich hier nur kleinere Beträge bewegen. Hückel war trotz aller Hürden entschlossen, die Arbeiten am Modell 2 zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen (Brief vom 21.04.1932). Erfreulicherweise zeigten die medizinischen Untersuchungen Ende März 1932, dass seine Knochentuberkulose wohl ausgeheilt war. Hückel konnte das Sanatorium Stolzaple verlassen und begab sich im April 1932 für weitere Behandlungen nach Wien.
Problem Knallgas
Neben vielen anderen technischen Problemen sprach Hückel auch die Bildung eines explosiven Knallgasgemisches an: Sie denken offenbar daran, daß bei der verkleideten Rakete sich infolge durchlässiger Stellen ( z. B. CH4-Hahn) innerhalb der Hülle ein explosibles Gemisch bildet. Ich teile durchaus Ihre Besorgnis. Als Gegen- und Schutzmaßnahme schlage ich folgendes vor: die Luft aus dem Innenraum mit Hilfe von CO2 oder N2 auszublasen und sie so durch eine Kohlensäure- oder Stickstoffatmosphäre zu ersetzen. CO2 ist vielleicht vorzuziehen, da es überdies noch abkühlend wirkt. Ein unbedingter Schutz ist das allerdings auch nicht, da innerhalb desselben Raumes CH4 und O2 gleichzeitig entweicht. Ließe sich zwischen O2- und CH4-Tank eine horizontale Trennungsfläche anbringen? Man könnte auch daran denken, die CO2 Durchlüftung bis zum Aufstieg durchzuführen. (Brief vom 21.04.1932) Dieser Hinweis sollte sich als äußerst weitsichtig erweisen. Winkler ging fatalerweise in seinem Antwortbrief vom 23.04.1932 nur am Rande auf den Vorschlag ein. Und er wolle weitere Brennversuche unterlassen, um die Rakete fertigzustellen und noch bis zum 07. Juni zu starten. Hückel äußerte sich am 28.04.1932 dazu skeptisch: Ich wage dem unter den gegenwärtigen Umständen kein entschiedenes Nein entgegenzusetzen. Es ist mir dieser Plan aber doch sehr unsympathisch, besonders weil ich nicht einsehe, daß ein nochmaliger Prüfstandversuch überhaupt eine Verzögerung des Aufstieges zur Folge hätte. Bis der Aufstieg möglich ist, sind noch Fallschirm + Auslösung, Minimumbarometer und die polizeiliche Erlaubnis vorzubereiten. Die Zeit die ein Versuch mit den Vorbereitungen erfordert dürfte doch nur etwa einen Tag betragen. Wieso entsteht also eine Verzögerung des Aufstiegs durch die Einschaltung eines Versuches? […] Ich bitte Sie also in Anbetracht des Umstandes, daß ich Ihnen im Mai höchstwahrscheinlich werde erheblich größere Mittel zukommen lassen können, es sich nochmals zu überlegen, ob nicht doch noch vor dem Start ein großer Brennversuch gemacht werden soll und kann. Stattdessen machte Winkler den Gegenvorschlag, die Arbeiten am Modell 2 auslaufen zu lassen und sich gleich auf Modell 3 (Aggregatrakete aus mehreren Triebwerken) zu konzentrieren (Brief vom 02.05.1932). Am 05.05. äußerte sich Hückel erbost, aber sachlich zu diesem Ansinnen. Er führte mehrere Gründe auf, die seines Erachtens dagegen sprachen, Schritt 3 vor Schritt 2 zu machen. Und er machte den Vorschlag, die Arbeiten am Modell 3 dem folgend bis Mitte 1933 durchzuführen. Hierfür wolle er versuchen, 7000 Reichsmark zusammen zu bringen. Am 08.05.1932 bot Winkler wieder an, am Modell 2 weiterzuarbeiten und einen Start bis zum 7. Juni voranzutreiben. Aber die Suche nach einem geeigneten Startplatz zog sich hin. Ende April 1932 bereitete Hückel eine Fortsetzung seiner Behandlung im Krankenhaus Waldfriede in Berlin-Zehlendorf vor. Damit ergab sich seit Jahren erstmals wieder die Möglichkeit der persönlichen Begegnung der beiden Männer. Winkler besuchte ihn noch im Mai sowie in den folgenden Wochen. Dagegen zerschlugen sich die Hoffnungen auf einen genehmigungsfähigen Startplatz. So muss Winkler am 27.06.1932 das Ende der Förderung und der Zusammenarbeit ohne einen erfolgreichen Raketenstart feststellen: Unsere Arbeitsgemeinschaft sehe ich nun mit dem 22. 6. als beendet an und werde den Abschuß der Rakete möglichst bald, soweit es meine Zeit erlaubt und die erforderlichen Genehmigungen vorliegen, durchführen. Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit noch einmal von Herzen danken für Ihre ganz außerordentlichen Opfer! Sie sind einer der ganz wenigen, welche die Raketensache in ihrer ganzen Tragweite erkannt haben, und Sie haben ihr, indem Sie das „Ankurbelungsgeld“ zur Verfügung stellten, einen entscheidenden Dienst erwiesen. Zwar würdigte er in den Zeilen das „Ankurbelungsgeld“, nicht aber den wissenschaftlich-technischen Diskurs mit Hückel. Dabei gehen zahlreiche Ideen, aber auch Korrekturen in Theorie und Praxis auf Hugo Hückel zurück. Hückel hoffte weiter auf einen erfolgreichen Start. Daher stellte er von seinem Berliner Taschengeld Mittel für die weiteren Arbeiten zur Verfügung. Bei einer solchen Gelegenheit holte Rolf Engel auch mal persönlich 200 Reichsmark in Zehlendorf ab. Bekanntlich verzögerte sich die Startplatzsuche weiter bis Oktober 1932. Mal zog man eine mündliche Zusage zurück, mal wurde eine Versicherungsleistung von 2000 Reichsmark gefordert. Endlich konnte auf der Kleinen Nehrung nahe Pillau ein Gelände gefunden werden. All diese Monate überbrückte Hückel mit kleinen Beträgen.
Nach dem Fehlstart
Eine Knallgasexplosion unter der Raketenhaut zerstörte Modell 2 beim Start, Hückel hatte bereits im April auf das Problem hingewiesen. Er war natürlich enttäuscht wie alle anderen Beteiligten. Verärgert war er dann aber über weitere finanzielle Wünsche Winklers. Hatte er nicht regelmäßig Geldbeträge noch nach Zinnowitz und Swinemünde überweisen? „Die Anerkennung und Bezahlung dieses Betrages ist nicht diskutabel“, antwortete er ihm am 05.11.1932. Winkler ruderte mit Brief vom 07.11.1932 zurück und konstatierte aus den gesamten Aufwendungen für den Startversuch einen offenen Betrag von nur 175 Reichsmark: Daß Sie nun die Regelung von 175 M an Forschungsbeträgen mir überlassen wollen in einem Augenblick, wo ich persönlich durch die Forschung obendrein in die schwierigste Situation gekommen bin, bedeutet für mich eine schmerzliche Enttäuschung. Hückel lies sich erweichen und zahlte noch einmal 200 Mark an Winkler, brachte aber die Enttäuschung seinerseits klar zum Ausdruck: Auch Ihren Standpunkt, daß Abrechnungen dann entbehrlich sind, wenn Einnahmen vorhanden sind, kann ich nicht teilen. Auch sachlich ist diese Darstellung nicht zutreffend, denn die Einnahmen haben Sie ja für Ihre privaten Bedürfnisse in Anspruch genommen, erscheinen also gar nicht auf der Haben - Seite des Raketen-Kontos. Wenn Sie schreiben, daß alle in der Aufstellung enthaltenen Ausgaben erst ganz zuletzt entstanden sind, so könnte man annehmen, daß unmittelbar nach dem 1. Startversuch noch ein Aktivsaldo der Raketenrechnung vorhanden war, bei genauer Buchführung wäre es jedenfalls ein Leichtes gewesen dies festzustellen. (Brief vom 10.11.1932) Wenige Tage nach dem Fehlstart von Modell 2 besuchte Rudolf Nebel Hückel bei dessen Rekonvaleszenz in Zehlendorf. Er konnte von den Planungen für die Piloten-Rakete berichten und legte dazu umfangreiche Unterlagen vor. Auch sei der Ausbau des Raketenflugplatzes geplant, das bisher von Winkler genutzte Laborgebäude solle in den Komplex einbezogen werden. Hückel hatte aufgrund der tschechischen Devisenvorschriften die Zahlungen an den VfR zum April 1932 einstellen müssen, war aber noch im Vorstand des Vereins. Um die Raketensache doch noch voran zu bringen, wandte sich Hückel nun Rolf Engel zu. Er hatte ihn ja bereits im Sommer in Zehlendorf getroffen und sich einen Eindruck von dem jungen Mann verschaffen können. Während andere Mitarbeiter Winklers wie Bermüller oder Ehmayer wieder zurück auf den Raketenflugplatz gingen, wollte Engel nicht mehr in die Organisation Nebel. Beim Reichsarbeitsdienst FAD boten sich offenbar Möglichkeiten einer Stelle. Hückel nutzte seine Beziehungen zum Verein Deutscher Ingenieure. Er rief Engel an und sprach ihm eine monatliche Donation von 200 Reichsmark zu: Herr Engel will die Arbeiten am Raketenproblem im Rahmen des FAD in Dessau ab 1. Jänner fortsetzen und da diese Arbeiten vorläufig auf 5 Monate befristet sind, habe ich mich bereit erklärt, diese mit 200 RM/ Mon. zu unterstützen. (Brief vom 24.12.1932 an Winkler) Es gab in der Folge über die Aufteilung verschiedener Gegenstände einige Verstimmung, Hückel pochte aber auf seine Rechte als Finanzier des gescheiterten Vorhabens. Auch Engel sollte für seine Arbeiten beim FAD in Dessau etwas erhalten. Der sah aus den Erfahrungen bei Modell 2 u.a. das Problem der Ventile bei tiefen Temperaturen, dem er sich widmen wollte. In den folgenden Wochen kamen dort etwa 30 Jungingenieure und Mechaniker für eine Arbeitsgruppe zusammen. Aber bereits im April 1933 beendeten die Nazis durch die Verhaftung Engels und Springers die Aktivitäten. Die Gestapo kassierte sämtliche Versuchsunterlagen und Berechnungen, Engel saß mehrere Wochen im Dessauer Gefängnis, die Unterstützung Hückels somit hinfällig. Es gab in der Folgezeit noch sporadische Kontakte zu Johannes Winkler. So sandte er ihm Ende 1935 den Sonderdruck eines Artikels von Eugen Sänger. Und 1936 traf man sich in Berlin, als Hückel vom Sommerurlaub auf Langeoog zur Olympiade nach Berlin reiste.
Wieder im Unternehmen
Nach seiner Genesung trat Hugo Hückel Anfang 1934 wieder in das Unternehmen ein. Die Tuberkulose war zwar ausgeheilt, aber er musste mit der Stilllegung des Kniegelenks eine körperliche Einschränkung hinnehmen. Hückel wurde Mitgesellschafter der Firma und übernahm eine leitende Stellung im Unternehmen. Kurzzeitig überlegte er offenbar, die Raketenentwicklung wieder aufzunehmen. So wandte er sich im Frühsommer 1934 an die Stadt Magdeburg, um etwas über die Insolvenzmasse von Nebels Versuch der Magdeburger Pilotenrakete zu erfahren. Die Stadt machte ihm ein Angebot, das ihm offenbar zu hoch war. Daraufhin stellte man alle Positionen in einer Bestandsliste zusammen und wies auch auf den von Nebel angegebenen ideellen Wert der fertigen Rakete hin. Darunter befanden sich neben Materialien und Geräten auch die Magdeburg-Rakete sowie vier fertige Raketenmotoren, die montagefertige Pilotenkabine und ein Startgestell. Wollte er es für sich kaufen? Oder wollte er Nebel unterstützen, die Materialien, Einrichtungen und Raketenbauteile weiter verwenden zu können? Offenbar zerschlug sich aber ein Ankauf, es finden sich dazu keine weiteren Dokumente im Archiv.3 Er war nun u.a. für das Werk in Ratibor zuständig. Das Unternehmen wuchs weiter. Mit dem Anschluss des Sudetenlandes an das Deutsche Reich infolge des Münchener Abkommens 1938 befand sich Neutischein nun im deutschen Hoheitsgebiet. Die Familie Hückel fühlte sich aber wohl eher als Österreicher, wie aus dem kurzen Lebenslauf seines Vaters hervorging. So gab er unter „Staatsangehörigkeit“ sowohl Österreich, tschechische Republik als auch Deutsches Reich an. Und er hatte über die Jahre eine Zweitwohnung in Wien, Auhoffstr. 10 im 13. Bezirk. In NS-Organisationen waren sie nicht vertreten, wie eine Anfrage beim Bundesarchiv ergab. Auch das Familienleben der Hückels nahm Aufschwung: im September 1937 kam Sohn Manfred auf die Welt. Ihm folgten Dietrich (*1941) und Gottfried (*1943). Im Haus erfolgten Umbauten, ein Fahrtstuhl wurde außen angesetzt. Und die Firma erhielt einen repräsentativen Neubau, der 1939 fertig wurde. Im Unternehmen zeigte der Beginn des zweiten Weltkrieges langsam Wirkung. Zum einen ging der Absatz in westeuropäische und osteuropäische Länder zurück. Ausländische Kunden fanden sich noch in Luxemburg, der Schweiz und Schweden. Zum anderen musste man nach und nach auf Kriegsproduktion umstellen. Ab 1941 gehörten Unterwäsche, Handschuhe und Gesichtsschutz zur Produktpalette der Firma, um die Wehrmacht auszustatten. Im gleichen Jahr kaufte man von der „arisierten“ Hutfabrik Brüder Böhm die Filiale in Neutitschein für 7,7 Mio. Reichsmark vom Deutschen Reich auf. Der neue Gauleiter Sudetenland Konrad Henlein besuchte gelegentlich die Stadt und das Werk. Im August 1943 inspizierte er zusammen mit dem NSDAP-Schatzmeister Schwarz das Werk. Denn ab 1943 wurden Fabrikteile auf Metallbearbeitung umgestellt. Man fertigte nun auch Zünder für Granaten und Patronen. Investitionen in den Anlagenbestand blieben aus, so dass die Maschinen auf Verschleiß gefahren wurden. Langjährig Beschäftigte mussten an die Front, Frauen übernahmen deren Arbeitsplätze.
Flucht, Vertreibung, Enteignung
Als die Front 1945 über die Ukraine und Polen näher rückte, machten sich die meisten Familienmitglieder in Richtung Westen auf. Im Januar 1945 verließen seine Frau, die Kinder und seine Eltern Neutitschein mit der Bahn nach Starnberg zu Hückels Schwester Christine. Während Hugo Hückel noch im Werk ausharrte, wurde sein Sohn Harald (*1928) zum Volkssturm geholt. Kurz vor den Eintreffen der Roten Armee machte sich Hückel am 3. Mai 1945 mit den Auto auf den Weg nach Bayern. Aber hinter Prag – was noch in deutscher Hand war – wurde sein Wagen von der Wehrmacht requiriert. Mit seinem Köfferchen ging er zurück nach Prag und suchte bei einem befreundeten Unternehmen Unterschlupf. Prag erwies sich aber als Falle, da am 5. Mai der Prager Aufstand zur Selbstbefreiung noch vor dem Einmarsch der Roten Armee ausbrach. Alle Deutschen wurden interniert, er brachte zwei Wochen im Keller des Unternehmens zu. Dann gelang es ihm, sich in die österreichische Gesandtschaft zu retten. Hier musste er vier Wochen auf seine Ausreise nach Österreich warten. In Güterwagen ging es in Juni 1945 nach Wien, wo er unterernährt, ohne Geld und Habe ankam. Zur gleichen Zeit erreichte sein Sohn Harald die Familie in Starnberg, er hatte das letzte Aufgebot Hitlers überlebt. Mit den sog. Beneš-Dekreten vom Oktober 1945 wurde aller deutscher Besitz enteignet und an die Dritte Republik überführt. Auch die Familie Hückel verlor alle Fabriken, Anlagen und Häuser in Neutitschein. Hugo Hückel versuchte, sich in Wien eine neue Existenz aufzubauen. Den Winter überlebte er im Musterlager der Wiener Dependance in der Mariahilferstr. 5. Gemeinsam mit der alteingesessenen Firma P.&C. Habig sollte 1946 die Hutproduktion wiederbelebt werden. Der Kooperation war viel Arbeit, aber wenig Zeit beschieden. Hugo Hückel erkrankte an Krebs und verstarb am 3. März 1947 in Wien. Am 8. März wurde im Familiengrab auf dem Hietzinger Friedhof begraben. Seine Frau Edith wurde am 12. Januar 1976 neben ihm beigesetzt.
Vielen Dank an die Familie Guder sowie an das Archiv der Stadt Novy Jicin und Dr. Wolfgang Bruder für die Informationen zu Hugo Hückel.